Im Bann Der Herzen
könnte ja Laura fragen. Sie hat die Adresse seiner Praxis in der Harley Street«, schlug Chastity vor. »Ich werde ihm dorthin schreiben. Wir brauchen uns gar nicht zu treffen.«
»Nein, vermutlich nicht.« Prudence nickte und musterte ihre jüngere Schwester neugierig. »Wenn du nicht möchtest - eine Notwendigkeit besteht natürlich nicht.«
»Genau«, sagte Chastity.
Hewlett-Packard
8
Chastity eilte in einem eisigen Wind die Kensington High Street entlang, den Mantel bis oben zugeknöpft, den Pelzkragen bis zu den Ohren hochgestellt. Sie trug den Hut tief in die Stirn gedrückt, ein langer Fransenschal umhüllte ihren Hals und wehte hinter ihr her. Ihre Hände steckten in pelzgefütterten Lederhandschuhen, ihre Füße in hohen Knöpfstiefeln. Dennoch stand ihr der Atem vor dem Mund, der Wind rötete Wangen und Nasenspitze und war bis zu den Zähnen schmerzhaft zu spüren.
Mrs. Beedles Eckladen erschien Chastity wie ein rettender Hafen, als sie eintrat und die Glocke zum Klingeln brachte. In ihrem Bestreben, die Kälte auszuschließen, knallte sie die Tür geradezu hinter sich zu. Sie atmete erfreut die warme, nach Süßigkeiten und Bäckerei duftende Luft ein.
Beim Klang der Ladenglocke tauchte Mrs. Beedle hinter dem Vorhang auf, der ihre Küche vom Ladenraum trennte. »Hallo, Miss Chas.« Sie strahlte ihre Besucherin an. »Sie sehen aber erfroren aus. Kommen Sie, und trinken Sie ein heißes Tässchen Kakao. Eben habe ich einen Victoria-Biskuitkuchen aus dem Rohr geholt.« Sie hob die aufklappbare Platte des Ladentisches an.
»Ja, man riecht ihn«, sagte Chastity und klatschte in die Hände, um die-Blutzirkulation in den trotz der Handschuhe tauben Fingerspitzen in Schwung zu bringen. »An einem solchen Tag gibt es für mich nichts Schöneres als Kakao und Kuchen.« Sie trat hinter den Ladentisch und senkte die Thekenklappe, ehe sie Mrs. Beedle durch den Vorhang in die Küche folgte.
»Ach, hier drinnen ist es wunderbar warm«, sagte sie anerkennend.
»Setzen Sie sich doch an den Herd, meine Liebe.« Ihre Gastgeberin stellte einen Milchtopf auf die Platte. »Auf dem Bord dort drüben sind ein paar Briefe für Sie.«
»Danke.« Chastity holte die Briefe vom Küchenbord und setzte sich auf einen Stuhl so nahe an den Herd, dass sie fast anstieß. Sie überflog die Umschläge, die alle an The Mayfair Lady adressiert waren, und steckte sie ungeöffnet in ihre Jackentasche, ehe sie die Handschuhe abstreifte und sich von ihrem Schal befreite. »So, das ist schon besser«, seufzte sie behaglich. »Der Wind ist ekelhaft eisig und fegt um jede Straßenecke. Die Leute sind alle blau gefroren vor Kälte - inklusive mir.«
»Ja, heute macht die Kundschaft sich rar.« Mrs. Beedle schnitt ein großes, vor Himbeermarmelade überquellendes Stück Biskuitroulade ab. »Bei diesem Wetter bleiben alle gern zu Hause. So, Miss Chas. Gleich ist der Kakao fertig.«
Chastity nahm den Teller in Empfang und dankte mit einem strahlenden Lächeln. Mrs. Beedle löffelte Kakaopulver in einen Becher und goss mit der dampfenden Milch auf, um danach energisch umzurühren. Dann stellte sie die Tasse auf einen niedrigen Hocker neben den Stuhl ihres Gastes.
Chastity atmete den vollen Schokoladenduft des heißen Getränkes tief ein und brach ein kleines Stück vom Kuchen ab. »Wie geht es Ihnen und Ihrem Geschäft, Mrs. Beedle?«
»Ach, ganz gut, meine Liebe«, gab die Frau zufrieden zurück. »Vor Weihnachten läuft es immer gut.«
»Ob wir wohl weiße Weihnachten bekommen?«, fragte Chastity, die es genoss, in dieser warmen Küche zu sitzen und über Belangloses zu plaudern. Die bimmelnde Ladenglocke unterbrach ihr Gespräch, und Mrs. Beedle lief nach einem Wort der Entschuldigung hinaus.
»Ach, Doktor, jetzt habe ich Sie eine ganze Weile nicht mehr gesehen«, rief sie aus, als sie in den Laden hinaustrat. »Ich dachte schon, Sie hätten uns verlassen.«
»Vorige Woche zog ich um, Mrs. Beedle«, erklärte Douglas Farrell. »Ins Zentrum.«
Chastity, die reglos dasaß und kaum zu atmen wagte, hielt mit dem Stück Kuchen auf dem Weg zum Mund inne. Ausgerechnet ... das war aber knapp. Fünf Minuten früher oder später, und sie wären zusammengestoßen. Wie um alles in der Welt hätte sie ihre Anwesenheit in dem gar nicht eleganten Kensington erklären sollen? In einem Laden, der als Postadresse für The Mayfair Lady diente? Der Mann war ja nicht dumm. Da er einer möglichen Ehekandidatin bei einem Besuchsnachmittag Chastity Duncans
Weitere Kostenlose Bücher