Im Bann der Lilie (Complete Edition)
Vielleicht kann ich auch für ihn eine geeignete Verbindung arrangieren.“
Am liebsten hätte der Marquis laut gelacht wegen der Doppeldeutigkeit seines Anliegens, doch er beherrschte sich und trug eine Miene zur Schau, die an der Ernsthaftigkeit seiner Worte keine Zweifel aufkommen ließ. Schon damals bei Hofe war es in Adelskreisen nichts Ungewöhnliches, neben der – oft im Rahmen einer Zwangsehe – angetrauten Ehefrau auf diese Weise für sein Amüsement zu sorgen.
Der Bankier war zunächst erstaunt und gleichzeitig hocherfreut. Soviel Großmut hatte er gar nicht erwartet. Morgen schon würde sein Anwalt die Verträge aufsetzen und in drei Monaten konnte die Hochzeit stattfinden.
Marcel war es denkbar unangenehm, seinen Freund Silvio für ein paar Tage im Schloss allein zu lassen. Doch er hatte beschlossen, Townsends Idee mit eigenen Augen verwirklicht zu sehen und sein eigenes Versprechen zu halten. Außerdem trieb ihn die Neugier. Sollte Napoleon wirklich nur aufgrund seiner angeblichen Anwesenheit zu dieser Premiere fahren? Was lag dem General an seinem Bildnis? Zu gern hätte er ihn persönlich gefragt, doch dann wären die Pläne der Königstreuen und der Briten verraten worden. Widerstrebend hatte Silvio dieser Reise zugestimmt.
Kurz vor Weihnachten begann es zu schneien, das ganze Land lag unter einer weichen, zentimeterdicken weißen Decke. Wer jetzt nicht über Land reisen musste, der tat es auch nicht – es sei denn zu einer Vergnügungsfahrt im Pferdeschlitten. Der Chevalier beschloss, den kleinen Berberhengst, den er Domino getauft hatte, auf seine Ausdauer zu testen und den Ritt nach Paris zu wagen. Querfeldein flog das zähe kleine Pferd über die nächtliche Decke aus weichem Pulverschnee, über ihnen der beginnende Vollmond, der die weiße Pracht reflektieren ließ und so ein geheimnisvolles Dämmerlicht hervorrief. Ideale Reisebedingungen! Tagsüber rastete Marcel an dunklen Orten wie verlassenen Hütten und Scheunen, das Blut von Wildtieren diente ihm als Speise. Er wollte keine Spuren hinterlassen!
In der Abenddämmerung des 24. Dezember 1800 traf er schließlich in der Hauptstadt ein. Eine selten feierliche Stimmung lag in der Luft. Selbst die Menschen schienen freundlicher als sonst zueinander zu sein. Der übliche Waffenstillstand allerseits! Marcel wusste genau, dass die Sterblichen sich nach den Feiertagen wieder an die Kehle springen würden. Er schlug den Weg in Richtung des Opernhauses ein, wo er auf das Eintreffen von Napoleons Kutsche warten würde.
Zur gleichen Tag war der Erste Konsul von Frankreich auf dem Weg zur Premiere und befand sich gerade in der schmalen Rue Saint Nicaise. Vier berittene Soldaten begleiteten den Wagen zum Schutz. Ein anstrengender Regierungstag voller Entscheidungen hatte Napoleon ermüdet und er war leicht eingenickt. Die Pferde zogen im schnellen Trab, nichtsahnend trieb sie der Kutscher an einem anderen Wagen vorbei – einem Pferdekarren beladen mit Eisenschrott und Schießpulver, mit dem bretonische Chouan-Rebellen Bonaparte beseitigen wollten. Die plötzliche Explosion war ohrenbetäubend und weithin zu hören. Entsetzen machte sich breit, Menschen rannten aus den umliegenden Häusern auf die Straße. Vier unschuldige Passanten starben, sechzig Menschen wurden verletzt von den herumfliegenden Splittern. Das explodierende Schießpulver hinterließ einen beißenden Nebel, der sich auf die Atemwege der herbeieilenden Helfer schlug. Kleine Feuer waren ringsum entstanden, die dringend gelöscht werden mussten. Napoleon selbst wurde von dem Knall nur unsanft aufgeschreckt.
Vom Sattel aus beobachtete Marcel die durcheinander laufenden und schreienden Menschen auf dem Platz vor der Oper, die nun in Richtung der Explosion liefen. Feuerschein wies ihnen bereits von weitem den Weg. Vorbei war es mit dem Weihnachtsfrieden! Der Hengst unter ihm tänzelte und bäumte sich auf, als einer der Leute, die zu Hilfe eilen wollten, mit einer Fackel dicht an ihm vorbei lief. Marcel lenkte das widerstrebende Pferd in Richtung der Unfallstelle, an der sich eine Menschenmenge gebildet hatte. Verwundete wurden vor Ort versorgt oder auf Bahren davon getragen. Dem Chevalier entgegen kam ein Zweispänner, aus dem ein uniformierter Mann mit einem rundlichen Gesicht und schütterem Haar ungläubig aus dem Fenster starrte. Ihm hatte das Attentat gegolten! Im Vorübergehen trafen sich ihre Blicke. Marcel konnte noch aus den Augenwinkeln sehen, wie sich die Gesichtszüge des
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