Im Bann des Adlers
dunkel wurde, hatten die beiden schon zwei Dutzend Häuser hinter sich gebracht. Keines ähnelte dem in der Kurznachricht beschriebenen, auch sonst gab es keine Auffälligkeiten. Sie mussten umkehren und zurück zum Auto gehen, da es nach Einbruch der Dunkelheit in dieser abgelegenen Gegend auch für sie zu gefährlich werden konnte und sie wollten ja die Retter sein und nicht die gejagten.
In seinem zugeteilten Gebiet war Hernandez mit einer etwas anderen Geschichte unterwegs, aber genauso wenig erfolgreich wie seine Mitstreiter. Zuerst hatte er sich natürlich seinen Kundenstamm vorgenommen und nach einem Mädchen gefragt, dass seine Freundin sei. „Sie ist heute das erste Mal mit mir auf Tour gegangen, da sie mich unbedingt einmal bei der Arbeit begleiten wollte und ich oft so lange unterwegs bin. Leider haben wir uns dann gestritten und sie ist, während ich einen Kunden belieferte, einfach abgehauen. Weit kann sie ja zu Fuß nicht sein. Vielleicht hat man sie ja gesehen oder jemanden bei ihr, der ihr womöglich helfen wollte“ erzählte er. Doch am Ende des Tages hatte er seinen Kundenstamm durch und keiner wollte etwas gesehen haben.
Hernandez konnte ebenfalls nichts Auffälliges oder ein Haus aus rotem Sandstein feststellen. Enttäuscht machte auch er sich auf den Heimweg.
Kapitel 18
Jessica
Victor und ich gingen Hand in Hand um das Feuer herum und sahen, dass etwas weiter hinten im Hain eine weitere Feuerstelle errichtet wurde. Dort brieten auch schon die ersten Teile der Pferde. Überall auf den umliegenden Wiesen hatten sich die Leute verteilt und waren offensichtlich in glückseliger Stimmung. Sie tranken Wein oder vielleicht auch Blut und waren in freudiger Erwartung auf ihr „Festmahl“.
Mir stieg der Geruch von Tot und Blut in die Nase und ich konnte an nichts anderes denken, als an das ermordete Mädchen und die zu tote gejagten Tiere. Am liebsten wäre ich sofort schreiend weggelaufen, auf die Erklärung von Victor konnte ich gut verzichten. Alles, was ich wollte, war weg von diesem grausamen Schauspiel. Warum fand mich denn hier niemand, es konnte doch nicht so schwer sein. Als ich aufsah, begegnete mein Blick dem des Adlers. Es lag eine so extreme Kälte und auch Wut in seinen Augen, dass es mir unwillkürlich eiskalt über den Rücken lief. Mit schneidender Stimme fuhr er Victor an. „Bring sie zu ihrem Ehrenplatz, sie soll nun endgültig aufgenommen werden. Ich hoffe es ist dir bewusst liebe Jessica, welche Ehre dir heute zu Teil wird, bei uns aufgenommen zu werden. Es ist nun an dir, die Gemeinschaft zu bewahren und niemals zu verraten.“ Stumm nickte ich. Diese Warnung hatte ich sehr wohl verstanden.
Auf den Druck von Victors Hand reagierend, folgte ich ihm unwillig zu einem weiteren großen Baum in der Mitte der Wiesen. Darunter war wie eine Art Podium errichtet. Darauf lag ein weißes Leinentuch, genauso eines, mit dem Nadine nach ihrem Tod bedeckt wurde. Wieder war mir elend. Ich bekam immer mehr Angst, was in dieser Nacht noch alles geschehen würde. Trotz meines Widerstandes zerrte er mich zu dem Platz und gebot mir mich zu setzen. Als er sich um mich herum drehte, flüsterte Victor mir ins Ohr. „Hab keine Furcht, ich sorge dafür, dass alles glattgeht.“ Irgendwie gab mir das jetzt nicht gerade ein Gefühl von Sicherheit. Wie aus dem Nichts tauchten plötzlich von allen Seiten junge Frauen in weißen Kleidern auf. Ein paar Männer im Schatten spielten mit Gitarren ein schönes langsames spanisches Lied. Ich kannte es aus den alteingesessenen Lokalen, die dafür bekannt sind, die alten Waisen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dort findet man auch noch so manchen Patron oder eine Donna, die vom wirklichen Spanien erzählen können. Soweit ich mich erinnern konnte, handelte das Lied um den Verlust von Liebe und Glauben. Ein tiefgläubiger Mann wollte nicht hinnehmen, dass immer weniger Menschen nach ihrem Glauben leben. Um seine Göttin, Mutter Erde, als verbündete zu bekommen, opferte er seine Tochter auf bestialische Weise, indem er ihr bei lebendigem Leibe die Haut abzog und diese verbrannte. Danach trank er ihr Blut und gab seinem Volk von seiner durch das Feuer gereinigten Tochter zu essen. Daraufhin kehrten Glauben und eine immer reiche Ernte bei dem Volk ein. Es war ein sehr grausames Lied, wenn man den Text richtig übersetzte. Es wurde jedoch meistens in venezianischem Dialekt gesungen deshalb kannten zwar sehr viele Menschen dieses Stück, ohne jedoch den
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