Im Bann des Highlanders
verbrachten die Frauen den Abend gemeinsam in der kleinen Kammer. Màiri hatte Joan angeboten, ihr das Weben beizubringen und einen weiteren Rahmen besorgt. In geheucheltem Interesse hatte Joan das Angebot angenommen, doch sie hatte rasch Gefallen an dieser Arbeit gefunden, und außerdem vertrieb sie ihr die Zeit.
Joans Tuch sah grob und unregelmäßig aus, so fingerfertig wie Màiri würde sie wohl nie werden. Aber wenn diese ihre Arbeit lobte, strahlte Joan vor Stolz. Die Zeit bei Lincoln & Fletcher schien schon Jahre zurückzuliegen, dabei waren erst ein paar Wochen vergangen.
Màiri hatte gerade von den Fortschritten ihrer kleinen Nichte Ealasaid erzählt, als plötzlich die Tür zur Kammer aufgestoßen wurde. Beide Frauen fuhren erschrocken zusammen und sprangen kreischend auf.
Ewan MacLaughlin blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen, als er erkannte, wer sich in der Kammer seiner Schwester aufhielt. Joan stand ebenfalls reglos da. Beide starrten sich ungläubig und entsetzt an.
Màiri hatte sich als Erste wieder in der Gewalt, sie trat zögernd zu ihrem Bruder und erklärte ihm etwas auf Gälisch, doch es schien, als würde er ihr überhaupt nicht zuhören. Nach wie vor hing sein Blick an Joan, die inzwischen die Stuhllehne fest umklammerte.
Jetzt war alles vorbei! Ewan würde nichts Eiligeres zu tun haben, als zu seinem Vater zu eilen und ihm zu verraten, dass er die Entflohene gefunden hatte.
Schließlich stieß Ewan ein paar gälische Worte aus, worauf Màiri auf Englisch bat: »Lass uns in Seonags Sprache reden, damit sie versteht, was wir sagen.«
Ihr Bruder wandte langsam den Blick von Joan ab und trat näher. Eiligst schloss Màiri die Tür hinter ihm, um weitere unliebsame Besucher zu verhindern.
»Warum hast du nicht geklopft?«, fragte Màiri vorwurfsvoll. »Es gehört sich nicht, einfach in meine ganz persönliche Kammer einzudringen.«
Ewan blieb in einem sicheren Abstand zu Joan stehen, und erwiderte, ohne sie aus den Augen zu lassen: »Ich habe geklopft, und das sogar mehrmals, aber es hat niemand geantwortet. Stattdessen hörte ich Lachen, wegen dem du mein Klopfen wohl überhört hast.«
Joan begann am ganzen Körper zu zittern. Ihr Herz schlug so laut, dass sie glaubte, die anderen könnten es hören.
Noch immer richtete Ewan das Wort nicht an die vermeintliche Hexe, sondern an seine Schwester und nahm auf einer Wäschetruhe Platz. »Weshalb hältst du sie versteckt? Weißt du nicht, wer sie ist?«
»Aye, sie ist Engländerin und ganz sicher nicht die wiederauferstandene Ceana Matheson. Hätte Vater sie genauer in Augenschein genommen, wäre ihm aufgefallen, dass Seonag nur dieselbe auffällige Haarfarbe hat wie Ceana. Ich hab sie damals mit eigenen Augen gesehen, Vater hat sich geirrt!«
Ewan blieb weiterhin skeptisch, sein schönes Gesicht wurde geheimnisvoll durch den Schein des Kaminfeuers erhellt. Die bitterböse Miene allerdings milderte das Bild des stolzen, edlen Highlanders.
»Du hast gegen Vaters Willen verstoßen!« Seine Augen blitzten zornig. »Außerdem hat Calum geschildert, dass ... diese Frau«, dabei blickte er abwertend zu Joan, die noch immer keinen Ton von sich gegeben hatte, »sich eigenartig gebärdet hat. So etwas hat er noch nie gesehen, sagt er.«
Màiri setzte sich auch wieder, dabei schüttelte sie den Kopf und erklärte, dass es sich um ein Schauspiel gehandelt hatte, um Calum zu erschrecken.
»Wie hast du sie hierher geschmuggelt? Die ganze Burg wurde durchsucht.«
Ein feines Lächeln erschien kurz auf Màiris Lippen. »Du erinnerst dich an den alten Geheimgang, den wir als Kinder entdeckten?«
Ewan sprang entrüstet auf und trat zu seiner Schwester. »Wie konntest du nur?«
»Ich bin von Seonags Unschuld überzeugt und wollte verhindern, dass sie im Kerker zugrunde geht. Sie hat mir leidgetan; sieh sie dir doch an. Sieht so eine Hexe aus?«
Dazu äußerte sich Ewan nicht, sondern ging wortlos zu der Truhe zurück und ließ sich wieder darauf nieder. »Und was soll jetzt mit ihr passieren? Soll sie in deiner Kammer hausen und dir Gesellschaft leisten, so lange Tèarlach nicht da ist?«
Màiris Blick wurde unsicher, als sie entgegnete: »Natürlich nicht, aber ich kann Seonag auch nicht in die Freiheit führen. Zunächst muss der Aufruhr verebbt sein, und ich hoffe, dass Tèarlach in der Zwischenzeit nicht auftaucht.«
»Hm, er würde genau dasselbe machen, was ich jetzt tun werde.« Wieder stand er auf, wandte sich aber nun der Tür zu.
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