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Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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Leugnen, ein ein ziges Wort in dem schummerigen Verhörraum einer vorsintflutlichen Polizeistation, hat mich seither verfolgt – mein ultimativer Verrat an Amanda Ruth.
    Er nahm mich eine Stunde lang in die Mangel. Ich verfolgte auf der großen Metalluhr an der Wand, wie die Minuten verstrichen. »Am besten bleiben Sie in der Stadt«, sagte er schließlich, bevor er mich gehen ließ. »Möglich, dass wir noch Fragen an Sie haben.« Er stand direkt vor der Tür, die Hand auf der Klinke, so dass ich nur hinauskonnte, wenn ich mich an ihm vorbeiquetschte. Er ließ seine Hand über meinen Rücken gleiten, beugte sich vor und flüsterte in mein Ohr: »Ich wette, ich könnte dich dazu bringen, dass dir Männer gefallen.« Sein Atem war nass und rauchig – mir drehte sich der Magen um. Im Vorzimmer drückte mir die Sekretärin eine Diät-Cola in die Hand. Die Dose war so eisig, dass meine Finger schmerzten. Ich kannte die Frau aus dem Videoladen unweit meines Elternhauses. Sie tauchte dort immer mit mehreren Kindern im Schlepptau auf und lieh Disney-Filme aus. Einmal, an der Kasse, hatten wir uns über Star Wars unterhalten, ein Film, der mir gut gefiel. Ich sah ihr an, dass sie alles mitgehört hatte. »Machen Sie sich nichts draus, Schätzchen«, sagte sie und reichte mir ein Kleenex. »So geht das hier immer zu. Soll ich Sie nach Hause fahren?«
    * * *
    Die Rollschuhbahn befindet sich direkt gegenüber der First Baptist Church von Greenbrook. Die Kirche ist groß und schneeweiß, der Turm so riesig, dass er ein Loch in den Himmel zu bohren scheint. Als Kind hatte ich Angst vor dem Turm, der so hoch über den Telefonleitungen, Verkehrsampeln und der Rollschuhbahn aufragte. Alles, was sich im Umkreis der Kirche befand, wirkte vergleichsweise unbedeutend. In hellen, klaren Mondnächten warf der Turm seinen langen, spitzen Schatten über den Parkplatz. Die Mädchen, die in ihren engen Jeans und weichen pastellfarbenen Wollpullovern der Rollschuhbahn zustreb ten, machten sich einen Spaß daraus, in der Mitte des Schattens entlangzugehen.
    Die Rollschuhbahn war ein rechteckiges Gebäude mit Aluminiumverkleidung und einzelnen Paneelen, die abwechselnd in Gelb und Blau gehalten waren. Dahinter befand sich eine Müllkippe, die sonntags immer fürchter lich stank. Nach dem Essen im Gemeindehaus, das jeden Sonntagabend im Anschluss an den Gottesdienst stattfand, entsorgten die Leute dort den Abfall – riesige Pappteller mit Kartoffelsalat, Überreste von frittiertem Hähnchen und das Dessert, ein pappsüßes Gemisch aus Fertigsahne und Maraschino-Kirschen, das an eine rosa Wolke erinnerte.
    Die Polizei meinte, der Täter habe geplant, sie auf der Müllkippe verschwinden zu lassen, unter dem Abfall, sei jedoch offensichtlich bei seinem Vorhaben gestört worden, »bevor er sich der Leiche in der beabsichtigten Weise entledigen konnte«. Es hieß, Amanda Ruth sei nicht hinter der Rollschuhbahn ermordet worden. »Tatort und Fundort stimmen nicht überein. Der Mörder brachte sein Opfer erst nach begangener Tat zum Fundort.« Diese Information wurde mehrmals in den Tageszeitungen wiederholt, als hätten alle ein Anrecht darauf, als wären die Einzelheiten des Verbrechens Allgemeingut und jedem zugänglich, der sich die Mühe machte, sie zu lesen, jedem, der seinen Spaß daran hatte, Amanda Ruths Schauergeschichte bei ein paar Gläsern Bier in The Watering Hole oder einer anderen Kneipe zum Besten zu geben. Diane Shelby, Moderatorin bei Channel 5, trug einen knallrosa Lippenstift und ein makelloses Lächeln zur Schau, als sie erklärte: »Miss Lee war bereits tot, als sie zur Rollschuhbahn gebracht wurde.«
    Graham will wissen, womit sie erdrosselt wurde.
    »Mit einem Schal.« Ich kann immer noch nicht fassen, dass ein zartes Stück Stoff, ein hübsches Seidentuch, ein Leben auszulöschen vermag.
    »Wer war es?«
    »Müssen wir darüber reden?«
    Er setzt sich aufs Bett und blickt mich lange an. Sein Gesicht hat etwas Verzweifeltes, was mir bisher nicht aufgefallen ist. »Was ist?«, frage ich. Er bleibt stumm. Er lässt mich nicht aus den Augen. »Was ist?«, frage ich abermals.
    »Wärst du in der Lage, jemanden zu töten, wenn es sein müsste?«
    »Was für eine Frage soll denn das sein?«
    »Ich frage nur so. Also?«
    »Nein.«
    »Unter gar keinen Umständen?«
    »Darüber habe ich noch nie nachgedacht.«
    »Was wäre, wenn dich die Person darum bitten würde? Also … Tötung auf Verlangen?«
    »Ich denke, nein.«
    »Nehmen wir

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