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Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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die Qutang-Schlucht überantwortete. Ich denke an Amanda Ruth, an die Fotos von ihrer Leiche hinter der Mülldeponie, ein Bein unter dem Körper angewinkelt, das dunkelbraune Haar wie ein Fächer auf dem Pflaster ausg ebreitet, an den Blutfleck auf der Innenfläche ihrer Han d – ihr eigenes Blut oder das des Mörders? Und an den Schal um den Hals, den gelben Schal, den ich ihr geschenkt hatte, kleine weiße Blüten auf einem sonnigen Untergrund. Auf dem Foto trägt sie den Schal, doch irgend etwas stimmt nicht ganz – auf diese Weise hat sie ihn nie umgebunden. Amanda Ruth legte ihn locker um den Hals, schlug ihn ein einziges Mal an der Seite um, die Enden hingen lose über ihre Schultern.
    In meinen Träumen laufen wir zum Strand hinunter und ich versuche, sie einzuholen. Die losen Enden des Schales blähen sich hinter ihr auf. Ich bekomme ein Ende zu fassen, doch der Schal gleitet von ihrem Hals und Amanda Ruth rennt weiter. Erschöpft bleibe ich stehen und halte den Schal in meinen Händen. Amanda Ruth läuft weiter, schneller und schneller, eine Gestalt, die immer kleiner wird und sich in der Weite des Strandes, im weißen Sand verliert. Ich rufe ihren Namen, doch meine Stimme geht im leisen Grollen des Flusses unter. Allein am Strand, in der Dunkelheit, überkommt mich eine grauenvolle Angst. Mit Moos behangene Eichen ächzen im Wind. Schatten nähern sich, entfernen sich, nähern sich abermals. Der Fluss steigt an, schwemmt mich mit fort. Und dann gehe ich auf dem Grund des Flusses entlang, meine Beine kämpfen gegen die Strömung an. Der Schal verfängt sich im Bug eines gesunkenen Schiffes. Ich ziehe und zerre, kann ihn jedoch nicht lösen. Das Rauschen des Flusses in meinen Ohren, der tiefe Schlick auf dem Grund, Fischschwärme, die an meinen Knöcheln knabbern. Ist das mein eigenes Blut im Fluss oder Amanda Ruths? Ich versuche verzweifelt, nach Hause zu gelangen.
    Jedes Mal wache ich auf und stelle fest, dass ich mich in Sicherheit befinde, abgeschirmt durch vier undurch dringliche Wände. Es gibt kein Blut und keinen Seidenschal. Der Tag nimmt immer seinen üblichen Verlauf.
    Doch es ist kein Traum, dieses Bild in meinem Gedächtnis – das Foto, das mir die Polizei vorlegte, drei Tage nachdem sie Amanda Ruth gefunden hatten. Vierzehn Jahre ist es her, doch jede Einzelheit ist mir noch gewärtig, als sei es gestern gewesen, ein dunkler Fleck in meiner Vergangenheit, an dem ich nicht zu rütteln vermag. Ein Schal um ihren Hals, der gelbe Schal, den ich ihr geschenkt hatte, kleine weiße Blüten auf einem sonnigen Untergrund. Auf dem Foto trägt sie den Schal, doch irgendetwas stimmt nicht ganz. Auf dem Foto ist der Schal dreimal um ihren Hals geschlungen und verknotet, »ein fachmännischer Knoten«, hatte der Detective gesagt. »Außerordentlich schwer zu lösen.« Ihr Gesicht hatte eine unnatürliche Farbe, auf den Lippen waren noch Spuren des pinkfarbenen Lippenstiftes, den sie trug, nur leicht verschmiert. Der Detective sagte, sie sei auf ungewöhnliche Weise stranguliert worden. »Knoten kommen äußerst selten vor. In den meisten Fällen zieht der Täter die Schnur, den Draht oder was auch immer so lange zusammen, bis das Opfer tot ist. In diesem Fall sieht es fast so aus, als hätte da jemand an seiner Fähigkeit gezweifelt, das Vorhaben wirklich bis zum Ende durchzuführen und den Schal deshalb so verknotet, dass er sich nicht mehr lösen ließ, selbst wenn er oder sie es sich anders überlegt hätte.«
    Ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass der Detective von »er oder sie« gesprochen hatte. Wurden derartige Gewaltverbrechen nicht immer von Männern begangen? Mir war so schlecht, dass ich mich in einen Abfalleimer übergab. »Sie wären überrascht, wie viele Mörder unter Gewissensbissen leiden«, fügte der Detective hinzu.
    Amanda Ruth, ich versuche mir vorzustellen, was du gedacht haben magst, als du in seine Augen blicktest. Sahst du deine eigenen Augen im Gesicht eines Mannes, den du seit frühester Kindheit kanntest, so lange deine Erinnerung zurückreichte? Stammeltest du seinen Namen? Ich sehe deinen Mund, der das kleine Wort umschließt: Dad. Doch vielleicht waren im Angesicht des Todes formale Worte angemessen. Vielleicht nanntest du ihn bei einem anderen Namen, einem Symbol der Distanz und höchsten Autorität: Vater. In welchem Augenblick wurde dir bewusst, was geschehen würde? Als er dir den Schal um den Hals legte, fühltest du dich vielleicht an eine Szene aus deiner Kindheit

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