Im Dienst des Seelenfängers
wollte meine Hilfe… Raven war mein Bruder in der Schwarzen Schar… Aber, verdammt noch mal, ein heißes Feuer und ein warmer Wein wären weitaus hübscher gewesen.
Ich glaube nicht, daß ich auf die Erforschung der Stadt mehr als drei oder vier Stunden ver- wendet hatte. Raven war noch weniger ausgegangen als ich. Trotzdem schien er zu wissen, wohin er ging. Er führte mich durch Seitenstraßen und Hintergassen, über Durchfahrtsstraßen und Brücken. Rosen wird von drei Flüssen durchzogen, die durch ein Kanalnetz miteinander verbunden sind. Die Brücken gehören zu den Attraktionen von Rosen. Brücken interessierten mich im Augenblick nicht. Ich war vollauf damit beschäftigt, Schritt zu halten und warm zu bleiben. Meine Füße waren Eisklötze. Immer wieder rutschte mir Schnee in die Stiefel, und Raven war nicht in der Stimmung, jedesmal anzuhalten, wenn das passierte.
Weiter und immer weiter. Meilenweit und stundenlang. Ich hatte noch nie so viele Elends-
viertel und Bordelle gesehen…
»Halt!« Raven hielt mich mit einem ausgestreckten Arm auf. »Was ist?«
»Still.« Er lauschte. Ich lauschte. Ich hörte nichts. Während unseres hastigen Marsches hatte ich auch nicht viel gesehen. Wie konnte Raven der Spur von Ottos Angreifer folgen? Ich be- zweifelte nicht, daß es so war, ich kam nur nicht darauf, wie er es anstellte. Um die Wahrheit zu sagen, nichts, was Raven tat, überraschte mich. Nicht mehr seit dem Tag, als ich sah, wie er seine Frau erwürgte. »Wir haben ihn beinahe erreicht.« Er spähte durch den dahintreibenden Schnee. »Geh in dem gleichen Tempo weiter, das wir eben hatten. Im Laufe der nächsten beiden Straßenzüge hast du ihn eingeholt.«
»Was? Wohin willst du?« Ich zeterte einem sich auflösenden Schatten hinterher. »Ver- dammter Kerl.« Ich holte tief Luft, fluchte wieder, zog mein Schwert und setzte mich in Be- wegung. Mein einziger Gedanke war: Wie erkläre ich das bloß, wenn wir den Falschen er- wischt haben?
Dann sah ich ihn im Licht aus einem Taverneneingang. Ein hochgewachsener hagerer Mann, der müde dahinschlurfte und seine Umgebung nicht wahrnahm. Raker? Woher sollte ich das wissen? Elmo und Otto waren die einzigen, die bei der Razzia auf dem Gehöft dabeigewesen waren…
Allmählich dämmerte es mir. Sie waren die einzigen, die Raker für uns andere identifizieren konnten. Otto war verwundet, und von Elmo hatte man nichts mehr gehört seit… Wo war er eigentlich? Unter einer Schneedecke in irgendeiner Gasse, so kalt wie diese scheußliche Nacht?
Meine Angst wich dem Zorn.
Ich steckte mein Schwert weg und zog einen Dolch hervor. Ich hielt ihn in meinem Mantel verborgen. Die Gestalt vor mir warf keinen Blick zurück, als ich sie einholte und auf gleicher Höhe blieb.
»Schlimme Nacht, nicht wahr, Alter?«
Er grunzte nichtssagend. Dann sah er mich an, und seine Augen verengten sich, als ich auf gleicher Höhe blieb. Er wich zurück, musterte mich näher. In seinem Blick lag keine Furcht. Er war selbstsicher. Nicht die Sorte von jenen alten Männern, die man durch die Straßen der Elendsviertel wandern sieht. Sie haben vor ihren eigenen Schatten Angst. »Was willst du?« Es war eine ruhige direkte Frage. Er mußte auch keine Angst haben. Ich hatte Angst genug für uns beide. »Du hast einen Freund von mir niedergestochen, Raker.« Er blieb stehen. Ein seltsames Funkeln zeigte sich in seinen Augen. »Die Schwarze Schar?« Ich nickte.
Er starrte mich an; seine Augen verengten sich nachdenklich. »Der Arzt. Du bist der Arzt.
Sie nennen dich Croaker.«
»Freut mich, dich kennenzulernen.« Ich bin sicher, daß meine Stimme kräftiger klang, als ich mich fühlte.
Ich dachte: Was zur Hölle mache ich jetzt? Raker schlug seinen Umhang beiseite. Ein kurzes Stichschwert stach auf mich ein. Ich huschte beiseite, öffnete meinen Mantel, duckte mich wieder und versuchte mein Schwert zu ziehen.
Raker erstarrte. Er sah mir in die Augen. Seine Augen schienen größer zu werden, immer größer… Ich fiel in graue Zwillingsseen… Ein Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln. Mit erhobener Klinge trat er auf mich zu…
Und ächzte plötzlich. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck völligen Erstaunens. Ich schüttelte seinen Bann ab, trat einen Schritt zurück, hob meine Deckung. Raker drehte sich langsam um und starrte in die Finsternis. Ravens Messer ragte aus seinem Rücken. Raker griff nach hinten und zog es heraus. Ein Schmerzenswimmern entglitt seinen Lippen. Er starrte das Messer an und
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