Im Funkloch
Getuschel erstarb, als die beiden Lehrer reinkamen.
»Wir müssen runter nach Waldkappel und Lucas dort suchen«, verkündete Frau Herzig. Sie war blass und zitterte leicht.
»Reichen dafür nicht nur vier oder so?«, fragte Janka. »Und die anderen fahren nach Kassel?«
Ich konnte nicht fassen, dass sie nur ans Shoppen dachte.
»Jetzt hör auf damit!«, brüllte Frau Herzig und Janka zuckte zusammen. Frau Herzig rang nach Fassung. Sie hatte die Verantwortung, und wenn Lucas etwas zugestoßen war . . . »Los jetzt«, sagte sie und deutete auf den Bus.
Keine Spur
Der Bus steuerte wieder den Kirchplatz an, und wir versammelten uns beim Brunnen, während der Busfahrer einen Parkplatz suchte. Die Hitze war noch intensiver geworden, fast unerträglich. Die Bewohner von Waldkappel schienen geflohen zu sein. Kaum ein Fußgänger war zu sehen und nur selten fuhr ein Auto die Straße entlang.
Frau Herzig ließ den Blick schweifen, als würde sie hoffen, Lucas hier schon zu finden. »Ich werde zur Stadtverwaltung gehen und fragen, ob die vielleicht etwas wissen. Und ihr verteilt euch – schaut euch überall um. Haltet vor allem nach den jungen Männern von gestern Abend Ausschau – vielleicht haben die ihn gesehen. Wir treffen uns dann wieder hier. Spätestens in einer Stunde.«
Während sie redete, konnte ich den Blick nicht von Passlewski abwenden. Zu sagen, dass er abwesend wirkte, wäre die Untertreibung des Jahres gewesen. Frau Herzig zog ihn am Ärmel, war von seiner Teilnahmslosigkeit offenbar auch nicht gerade angetan, und die beiden gingen die Straße entlang.
Niemand schien sonderlich erpicht darauf zu sein, das ganze Dorf zu durchkämmen. Einige beschlossen, sich einfach im Schatten des Brunnens niederzulassen und den Ausgang der Geschichte abzuwarten, während eine größere Gruppe in Richtung Supermarkt aufbrach – wahrscheinlich, um das Lästige mit dem Nützlichen zu verbinden.
»Ich hab eine Idee«, sagte Tina zu mir. »Wenn Lucas gestern Abend hier ins Dorf gekommen ist, war er wahrscheinlich . . .«
». . . an der Tankstelle«, vollendete ich den Satz.
Wir waren die Einzigen, die rauf zur Tankstelle gingen. Es war kein Auto an den Zapfsäulen, und von draußen konnten wir sehen, dass auch in dem kleinen Laden kein Kunde war. Hinter der Theke stand ein Typ und blätterte mit gelangweiltem Gesichtsausdruck durch ein Magazin.
Als wir reinkamen, schaute er kurz auf, las dann weiter – und hob sofort wieder den Kopf. Ich erkannte ihn auch wieder. Es war der Typ, der mit Tobias, dem Blonden, in dem roten Auto gesessen hatte. Auch im Schwimmbad bei Lucas' großem Auftritt war er dabei gewesen.
Er klappte die Zeitung zu, richtete sich auf und schaute uns abschätzig an.
Tina ließ sich von seiner Geste nicht beeindrucken, hielt zielstrebig auf den Tresen zu. »Moin. Ausunserer Klasse ist jemand verschwunden«, sagte sie geradeheraus. »Lucas. Der Typ, der immer Ärger macht.«
»Lucas . . .«, wiederholte der junge Mann. »Und?«
»Hast du ihn gesehen?«, fragte ich.
»Der kann froh sein, dass er uns nicht noch mal begegnet ist. Hätte ziemlichen Ärger bekommen . . .«
»Er ist verschwunden, seit gestern Abend.«
»Vielleicht hat er sich im Wald verlaufen«, mutmaßte der Typ und zuckte desinteressiert mit den Schultern.
»Vielleicht«, sagte Tina. »Und das wollen wir rausfinden.«
Er sah uns abwechselnd an. »Kann euch nicht helfen.«
»Wir würden gern deine Freunde fragen, zum Beispiel . . . Tobias hieß er, glaube ich. Wo finden wir den?«
Seine Augen funkelten feindselig, als hätten wir ein unaussprechliches Geheimnis von ihm eingefordert.
»Wir wollen nur fragen, ob er ihn gesehen hat«, sagte Tina. »Ihr wart doch nicht gleich in der Heia, als es dunkel wurde, oder? Wahrscheinlich ist Lucas runter ins Dorf gekommen. Kann doch sein, dass einer von euch ihn gesehen hat. Unsere Lehrer redenschon davon, die Polizei zu rufen, und darauf sind wir nicht unbedingt scharf . . .«
Ich grinste in mich rein – Tina schaffte es, eine Drohung so unauffällig in vernünftig klingende Worte zu kleiden, dass der Typ gar nicht anders konnte, als uns etwas zu verraten.
»Ich hatte gestern die Spätschicht . . . hier war keiner. Und Tobias . . . der ist noch bei der Arbeit. In der Werkstatt.«
»Autos?«, fragte ich.
»Was denn sonst . . .«
Bevor ich irgendeine doofe Antwort stammeln konnte, fragte Tina: »Wo ist die?«
»Hinten, bei der Bundesstraße Richtung Heli.«
Hatten die hier einen
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