Im Glanz der roten Sonne Roman
vornübergebeugt im Stall auf einem Heuballen, die Ellbogen auf den Knien, den Krug zwischen den Füßen. Kinn und Wangen waren voller grauer Bartstoppeln, denn er hatte sich lange nicht rasiert, und schon seit drei Tagen trug er dasselbe Hemd, sodass er nach Schweiß roch. Milo hatte ihn nie so ungepflegt gesehen. Max’ Anblick stellte sein Gewissen auf eine harte Probe.
»Es ist schon sehr lange her, Boss. Ich glaube nicht, dass es gut ist, in der Vergangenheit zu rühren.«
»Wie könnte es denn noch schlimmer werden?«, stieß Max verärgert hervor.
Milo zuckte innerlich zusammen. Wenn ich dir sage, dass Eves Vater ein kanaka ist, dachte er. »Vielleicht sagt die Mistress Ihnen, was Sie wissen wollen, wenn sie wieder bei Bewusstsein ist.«
»Sie hat geschworen, es nicht zu tun. Warum also sollte ich Hilfe für sie holen? Meinetwegen kann sie ihr Geheimnis mit ins Grab nehmen!«
Milo starrte Max ungläubig an. Er würde Letitia alsowirklich sterben lassen, obwohl es in seiner Macht stand, ihr zu helfen! »Das können Sie nicht ernst meinen, Boss!«
Max zuckte mit keiner Wimper. Es war offensichtlich, dass er es sehr wohl ernst meinte.
Milo war entsetzt, sah aber auch, dass Max nicht er selbst war. Sein Atem ging schwer, und er schwitzte stark. Er war betrunken, und seine Haut zeigte eine unnatürliche Blässe. Er bot einen schrecklichen Anblick. Es hatte ihn schon aus der Bahn geworfen, dass Eve nicht seine Tochter war, doch die Ungewissheit, wer ihr wirklicher Vater war, brachte ihn fast um. Milo fürchtete, Max könnte einen Herzanfall erleiden. Und wenn er Max und Letitia auf einmal verlor – was sollte dann aus ihm werden?
»Wenn Sie die Wahrheit wüssten, Boss, würden Sie der Mistress dann helfen?«
»Das hängt davon ab, wie die Wahrheit aussieht«, sagte Max mit eisiger Stimme. »Wenn einer meiner Freunde sich mit ihr vergnügt hätte, würde ich ihn umbringen!«
»Es war keiner von Ihren Freunden, Boss.«
Max, vom vielen Rum benebelt, hob den Kopf und blickte seinen Aufseher aus blutunterlaufenen Augen an.
Milo verfluchte sich selbst dafür, Max’ Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben.
»Weißt du etwas, Jefferson?«
Milo starrte ihn an. Er wollte etwas sagen, hatte aber Angst, Max’ Zorn könnte ihn treffen. »Nein ... eigentlich nicht, Boss.«
Max sprang auf. »Was soll das heißen? Entweder weißt du etwas oder du weißt nichts! Red schon, Jefferson, oder ...« Mit zwei großen Schritten überwand Max die Entfernung zwischen ihnen. Milos Augen weiteten sich vor Schreck.
»Ich weiß nichts, Boss, ehrlich!«
»Ich glaube dir nicht. Hast du damals jemanden hier herumlungern sehen?« Max erkannte die Ironie in seinenWorten. Zu der Zeit, als Eve gezeugt worden sein musste, hatte er nur Augen für Catheline Hale gehabt und gar nicht bemerkt, was praktisch vor seinen Augen geschah. Jetzt war er wütend auf sich selbst, richtete seinen Zorn jedoch gegen den unglücklichen Milo Jefferson. Er schwor sich, die Wahrheit aus Milo herauszuprügeln, falls nötig.
Milo Jefferson war seit vielen Jahren tagtäglich mit Max zusammen und deutete den Blick aus dessen halb geschlossenen Augen richtig. Er wusste, er hatte er keine Wahl – er musste Max die Geschichte erzählen.
»Es ist schon lange her, Boss, aber der einzige andere Mann, von dem ich weiß, dass die Missus ihn sehr mochte, war Luther Amos. Deshalb habe ich ihn damals fortgejagt. Ich fand, dass er zu freundlich mit der Missus tat und seine Arbeit vernachlässigte. Von einem anderen weiß ich nichts, ich schwör’s.«
Max stand regungslos da, wie vom Blitz getroffen, und versuchte das Gehörte zu verarbeiten. »Luther ... Luther Amos, der Mann, der halb kanaka und halb Ire war?« Max hätte die Vorstellung am liebsten als lächerlich aus seinen Gedanken verbannt, doch wenn er genauer darüber nachdachte ... Eves dunkle Haare und ihre Augen ... konnte es möglich sein?
»Ja, Boss.« Milo sah, wie Max erschrak. »Die Mistress und Luther waren sehr vertraut miteinander«, fuhr er fort. »Ich glaubte damals nicht, dass zwischen den beiden etwas war – schließlich war Luther nur ein einfacher Feldarbeiter. Aber ich hatte schon das Gefühl, dass Mistress Letitia ihn sehr mochte.«
Milo ließ Max nicht aus den Augen, der noch immer ungläubig den Kopf schüttelte. »Ein kanaka «, murmelte er, »Letitia und ein kanaka !«
Milo wusste, dass eine so schwere Anschuldigung die Gefahr barg, dass Max ihn in seinem Zorn umbrachte; auf der
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