Im Herzen der Nacht - Roman
einen Ausweg«, hatte Selena erklärt.
Doch den müsste er nutzen. Und was dann? Wäre sie seine Frau? Würde er erwarten, dass sie Nynia glich? Bei diesem Gedanken erschauerte sie. Nichts für ungut, aber als Nynia war sie kleinmütig und dumm gewesen. Gewiss, es war nicht verwerflich, wenn man sich bemühte, einen Ehemann zu erfreuen. Leider hatte Nyn maßlos übertrieben, alle seine Wünsche erfüllt und ihm niemals widersprochen.
Wenn er ihr befohlen hatte: Spring!, war sie gesprungen, ganz egal, wie tief der Abgrund gewesen sein mochte. Was immer er wollte, sie tat es, ohne Rücksicht auf ihre eigenen Bedürfnisse.
Nein, so könnte ich mich nicht verhalten«, entschied Sunshine. Sie beharrte auf ihrem eigenen Standpunkt und ließ sich nicht unterkriegen. Manchmal war sie sogar ein bisschen selbstsüchtig. Sie wünschte sich eine Partnerschaft, in der jeder die gleichen Rechte hatte, einen Ehemann, der ihre künstlerischen Interessen ernst nahm. Mit all seinen Vorzügen und Fehlern würde sie ihn akzeptieren. Und von ihm erwartete sie das Gleiche.
Sie liebte sich selbst und das Leben, das sie führte. Bei Talon wäre sie niemals sicher, ob er sie liebte, weil sie Sunshine war oder weil er Nynia in ihr sah.
Wie sollte sie die Wahrheit herausfinden?
Als eine sanfte Hand durch Talons Haar strich, erwachte er. Um zu wissen, wer ihn berührte, musste er die Augen nicht öffnen. Er spürte sie in der Tiefe seines Herzens. Sunshine.
Schließlich blinzelte er und sah sie an seiner Seite sitzen.
»Guten Morgen«, sagte sie.
»Guten Abend.«
Sie reichte ihm eine Tasse Kaffee. Vorsichtig nahm er einen Schluck und erwartete zusammenzuzucken. Aber das Gebräu schmeckte ihm. Sogar ausgezeichnet.
Überrascht starrte er sie an, und sie lachte. »In unserer Bar servieren meine Eltern auch Kaffee. Wenn ich das Zeug auch nicht trinke - ich weiß, wie man’s macht.«
»Das kannst du wirklich gut«, lobte er. Sunshine strahlte über das ganze Gesicht, und er sank ins Kissen zurück. »Was hast du während meines langen Schlafs getan?«
»Gearbeitet. Bald muss ich einen Kunden treffen und ihm ein paar Bilder zeigen, die er bestellt hat. Wenn sie ihm gefallen, wird er mich beauftragen, ein paar Kunstwerke und Fresken für seine Restaurantkette zu liefern.«
»Tatsächlich?«, fragte er beeindruckt.
»O ja.« Ihre Augen leuchteten, ihre Wangen glühten, er merkte, wie viel ihr der Job bedeuten würde. »Wenn ich den Vertrag kriege, muss ich nicht mehr auf dem Jackson Square herumstehen. Dann hätte ich genug Geld, um mein eigenes Studio zu eröffnen.«
»Dafür könnte ich dir das Geld geben.«
Seufzend zuckte sie die Achseln. »Das würden meine Eltern auch tun. Aber ich will was Eigenes, niemand soll mir was schenken.«
Das verstand er sehr gut. Den Großteil seines sterblichen
Lebens hatte er damit verbracht, anderen Leuten zu beweisen, wozu er fähig war. »Wenn man Hilfe annimmt, braucht man sich nicht zu schämen.«
»Natürlich, ich weiß. Aber es wäre nicht dasselbe. Außerdem fände ich es wundervoll, in ein Restaurant zu gehen und meine Werke an der Wand zu sehen.«
»Klar. Hoffentlich bekommst du den Auftrag.«
»Und du? Worauf hoffst du?«
»Dass meine Hütte tagsüber nicht von einem Hurrikan verwüstet wird.«
»Nein, im Ernst«, mahnte sie lächelnd.
»Das meine ich ernst. Wenn so was passieren würde, wäre es furchtbar.«
»Hast du keine Pläne für die Zukunft?«
»Da gibt es nichts zu planen, Sunshine, weil ich ein Dark Hunter bin.«
»Hast du noch nie erwogen, diese Existenz zu beenden?«
»Niemals.«
»Jetzt auch nicht?«
Eine Zeit lang dachte er schweigend nach. »Wenn Camulus mich nicht mehr bedrohen würde - vielleicht. Aber...«
Verständnisvoll nickte sie. Als sie den Gott gefragt hatte, ob er Talon jemals verzeihen könnte, war er in schrilles Gelächter ausgebrochen. »Eher wird die Welt einstürzen, bevor ich ihn in Ruhe lasse. Solange ich lebe, wird er für den Tod meines Sohnes büßen.« Davon erzählte sie Talon nichts, weil sie ihn nicht aufregen wollte.
Irgendwie würde sie einen Weg finden, um Camulus auszuschalten. »Okay, ich werde es nicht mehr erwähnen. Genießen wir einfach unsere gemeinsamen Stunden.«
»Das klingt nach einem interessanten Plan.«
In einer geruhsamen Nacht unterhielten sie sich und spielten Spiele. Sunshine stöberte in der Kochnische herum und fand genug Vorräte für eine essbare Körperbemalung. Und Talon bewies ihr, wie köstlich
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