Im Herzen der Nacht - Roman
Haut erkaltet war, ließ sie den Stein fallen und wartete.
Talon rührte sich nicht, er atmete nicht. Völlig unbewegt lag er da.
»Talon?«, flüsterte sie in wachsender Sorge.
Als sie schon glaubte, er wäre gestorben, atmete er tief durch und öffnete die Augen.
Beim Anblick seiner bernsteinfarbenen Augen stieß sie einen Freudenschrei aus, nahm ihn in die Arme, und im selben Moment flog die Tür hinter ihnen auf.
Die Daimons, die Dämonen und die beiden Götter stürmten in den Raum. Von Zarek keine Spur... Inständig hoffte Sunshine, sie hätten ihn nicht getötet.
Mit neuer Kraft erfüllt, sprang Talon auf und stellte sich zwischen Sunshine und die Feinde. Auch Ash erhob sich zum Kampf bereit.
»Mitternacht!«, rief Dionysos grinsend. »Die Show kann beginnen.«
Als die Dämonen beiseiteflogen, tauchte Ashs Doppelgänger auf.
»Hallo, Acheron!«, sagte Styxx in ätzendem Ton. »Lange haben wir uns nicht gesehen. Elftausend Jahre, nicht wahr?«
Talons Atem stockte, er traute seinen Augen nicht. Unglaublich, Ash hatte einen Zwillingsbruder. Warum hatte er das verheimlicht?
Und wieso lebte Styxx immer noch, obwohl er kein Dark Hunter war? Das ergab keinen Sinn.
Langsam ging Styxx auf seinen Bruder zu.
»Bleib stehen, Styxx!«, mahnte Ash. »Ich will dich nicht verletzen. Aber wenn es sein muss, werde ich es tun. Ich erlaube dir nicht, sie freizulassen.«
Lachend wandte sich Styxx zu Talon und erwiderte seinen verständnislosen Blick. »Das klingt wie eine schlechte Seifenoper, nicht wahr? Guter Zwilling, böser Zwilling.« Dann erstarb sein Gelächter, und er fauchte seinen Bruder an: »Aber wir sind keine richtigen Zwillinge, was, Acheron? Nur zufällig teilten wir eine Zeit lang denselben Mutterleib.« Nun trat er hinter Ash, der sich merklich anspannte. Niemals duldete er jemanden hinter sich. Aber jetzt schien ihn eine unsichtbare Kraft zu lähmen. Ganz dicht stand Styxx hinter ihm. Doch die beiden berührten sich nicht. »Sollen wir Talon erzählen, wer der gute Zwilling ist?«, flüsterte Styxx in Acherons Ohr. »Soll ich ihm verraten, wer von uns ein würdevolles Leben geführt hat? Wen die Griechen und die Atlantäer achteten und wen sie verspotteten?« Styxx berührte die Narbe an Ashs Hals, die abwechselnd zu verschwinden und aufzutauchen pflegte. Dann sprach er im Flüsterton weiter, in einer Sprache, die Talon nicht verstand.
In einem Albtraum gefangen stöhnte Ash. Seine Augen verschleierten sich, und sein Atem ging stoßweise. Aber er versuchte nicht, die unsichtbare Fessel zu zerreißen.
Unsicher schaute Talon von einem zum anderen. Was sollte er tun? Sicher würde Ash die Situation meistern. So wie er alle Probleme löste.
»So war es, Acheron«, fügte Styxx wieder auf Englisch hinzu, und seine Hände krallte sich um den Hals seines Bruders. »Erinnere dich an die Vergangenheit, erinnere dich, was du warst. Das alles sollst du noch einmal erleben. Jede einzelne Untat, die du begangen hast, jede Träne, die meine Eltern
deinetwegen vergossen haben. Jeden Moment, den ich dich anschauen und mich schämen musste, weil dein Gesicht meinem glich.«
Talon sah Tränen in Ashs Augen glänzen. Wenn er auch nicht wusste, welche Geheimnisse der Mann hütete, sie mussten grausig sein. Ihn persönlich kümmerte nicht, was Ash in seiner Vergangenheit getan hatte. In den fünfzehnhundert Jahren ihrer Freundschaft war der Atlantäer immer nur anständig gewesen.
»Lassen Sie ihn los, Styxx!«, befahl Talon.
Mit schiefgelegtem Kopf weigerte sich Styxx, die Aufforderung zu befolgen, seine Hände umschlossen Ashs Hals noch fester. »Erinnerst du dich an Estes’ Tod, Acheron? Wie mein Vater und ich dich fanden? Das habe ich nie vergessen. Jedes Mal wenn ich an dich denke, erscheint dieses Bild vor meinen Augen. Wie widerwärtig du bist...«
»Töte ihn«, befahl Dionysos, »und öffne die Pforte.«
Aber Styxx schien ihn nicht zu hören, seine ganze Aufmerksamkeit galt Ash.
Mit einem Dolch in der Hand trat Camulus vor. Talon stürzte sich auf ihn, und sie kämpften um die Waffe. Auch die geflügelten Dämonen griffen wieder an, während Styxx fortfuhr, Ash zu beschimpfen und zu beleidigen.
»Töte ihn, Styxx!«, wiederholte Dionysos. »Oder wir verpassen die Pforte!«
Da zog Styxx einen Dolch unter seinem Mantel hervor. Sofort vergaß Talon den Kampf mit Camulus und versuchte die Brüder zu erreichen.
Doch er schaffte es nicht. Blitzschnell stach Styxx den Dolch bis zum Griff in Ashs
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