Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
sich kein bisschen. Er sitzt die ganze Zeit schon oben auf dem Schrank. Ich hab schon alles versucht.«
»Darf ich die Katze streicheln?«, fragt Emma.
»Ich glaube, die Katze möchte das jetzt gar nicht. Es ist übrigens ein Kater, und er heißt Caruso.«
Aber auch diesmal täusche ich mich. Caruso möchte sich sehr wohl von Emma streicheln lassen – und das sogar freiwillig. Als die Kleine ihn mit ihrer piepsigen Stimme ruft, springt er behände vom Schrank herunter und landet mit einem weiteren Satz wie selbstverständlich auf ihrem Schoß.
Perplex schaue ich erst zu Caruso, dann zu meiner Freundin.
»Kinder!«, lacht Rici.
»Darf Caruso neben mir im Auto sitzen?«, fragt Emma.
»Ja, klar!«
Die Kleine schafft es tatsächlich, den Kater in den Transportkäfig zu locken. Und den verfrachten wir nur kurz darauf auf den Rücksitz in Ricis Auto, gleich neben dem Kindersitz. Caruso verhält sich dabei sehr friedlich. Emma plappert die ganze Zeit auf ihn ein – und er ringelt sich ein und schließt die Augen.
Es ist genau zwölf Uhr dreißig, als wir in Duisburg vor der Waldorfschule parken. Von außen sieht sie ganz genauso aus wie jede andere normale Schule auch.
»Eine Viertelstunde haben wir noch, bevor es klingelt. Am besten, ich geh rein und guck mal nach. Nicht, dass es noch einen anderen Ausgang gibt und wir sie verpassen«, sag ich.
Das Schulgebäude wirkt von innen freundlich und einladend. Im Eingangsbereich hängt eine große Fotowand, auf der alle Lehrer und Lehrerinnen abgelichtet sind und mit ein paar Worten der Schüler beschrieben werden.
Ich muss nicht lange suchen. Frau Birnbaum ist immer freundlich. Sie lächelt viel und isst gerne Nugat steht in Kinderhandschrift unter Nathalies Foto, das ich mir eingehend betrachte. Freundlich wirkt sie wirklich. Aber ich habe auch nichts anderes erwartet. Immerhin war Ben mit ihr verlobt, für eine unsympathische Frau hätte er sich niemals entschieden. Dass sie zudem sehr gut aussieht, versetzt mir allerdings wieder einen unerwartet heftigen Stich in der Herzgegend. Ich bin immer noch eifersüchtig, auch wenn ich gar nicht so empfinden möchte. Als könnte ich das Bild dadurch wieder vergessen, schließe ich meine Augen und atme tief durch. So bleibe ich ein Weilchen stehen und versuche mich zu sammeln. Als ich die Augen wieder öffne, nehme ich etwas Graues, Pelziges wahr, das an meinen Beinen vorbeihuscht. Es erinnert mich an einen Kater, der mir seit Tagen das Leben schwer macht. Fast im selben Moment sehe ich Rici den Gang entlanglaufen.
»Marly, es tut mir ja so leid! Ich wollte nur etwas frische Luft ins Auto lassen. Deswegen habe ich das Fenster runtergekurbelt. Ich hab nicht mitbekommen, dass Emma den Käfig aufgemacht hat. Sie wollte ihn streicheln. Und der blöde Kater ist einfach abgehauen. Ich habe nicht gesehen, wo er hin ist, weil Emma so laut geschrien hat, dass ich dachte, ihr sei etwas passiert. Vielleicht finden wir ihn ja, wenn wir …«
»Da vorne sitzt er«, unterbreche ich meine Freundin und gehe langsam auf Caruso zu. Als er sich dessen gewahr wird, dreht sich maunzend um und läuft weg. Ich renne los, aber es ist schon zu spät, ich erwische den Kater nicht mehr. Wie der Blitz jagt er um die Ecke, und ich sehe noch, wie sein Schwanz verschwindet …
»Und jetzt?«, frage ich Rici atemlos.
»Ich hole Emma. Sie sitzt allein im Auto. Ich bin gleich wieder mit ihr zurück. Dann helfen wir dir suchen. Vielleicht hört er ja auf Emma.«
Doch dazu kommen wir nicht mehr. Wir stehen zu dritt auf dem Gang, als die Klingel den Schulschluss anzeigt. Innerhalb von Sekunden füllt sich der Flur mit Schülern.
»Mist!« Ratlos schaue ich mich um, während die Kinder lautstark an uns vorüberziehen.
Da deutet Emma plötzlich nach vorne und sagt: »Caruso! Da, bei der Frau!«
Das darf doch nicht wahr sein! Der Kater rekelt sich in den Armen einer zierlichen Frau, die vor einem Klassenzimmer steht und lächelnd zu uns herübersieht.
Ich starre reglos auf die rote, leuchtende Mähne, deren Farbton mich auf geradezu unheimliche Weise an Bens Haar erinnert. Hatte sie nicht dunklere Haare als er auf dem Photo gehabt? Mir wäre jetzt jedenfalls wirklich lieber, Bens Schwester käme da auf uns zu. Aber Ben war Einzelkind, genau wie ich. Ein paar Sekunden verharre ich noch bewegungslos, doch dann kehrt Leben in mich zurück.
»Lass uns schnell gehen!« Auffordernd ziehe ich an Ricis Hand, aber es ist schon zu spät.
»Marly?« Nathalie
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