Im Hyperraum
Graduierung erhalten
hatte, ehe Gerüchte über ihre Herkunft bis in den letzten Winkel der
Raumfahrergemeinde durchgedrungen waren. Diese beiden bezahlten Flüge
hatte sie solo absolviert, denn sie hatte Angst, sich Kameraden zu
suchen, schämte sich, den anderen Riggern ihre Einsamkeit und
unerfüllten Sehnsüchte zu verraten â¦
Jael, ich hatte ja keine Ahnung! Das ⦠das muss nicht so sein!
Der aufgestaute Groll kochte in ihr hoch. Ach nein? Was soll ich denn tun? Begreifst du nicht, dass niemand mit mir fliegen will? Absolut niemand â¦
Aber, Jael, du kannst deine Rechte einfordern. Du darfst dich nicht einfach so â ich weià auch nicht â abspeisen lassen!
Wirklich
nicht? Und was sagst du dazu? Sie konnte es nicht verhindern, dass
alles aus ihr heraussprudelte, all die Jahre der Einsamkeit und
vergeblicher Hoffnung, Einblicke in ihr Innerstes, die sie nie jemandem
gewähren wollte. Nun strömte alles in das Traumlink, ergoss sich
donnernd wie ein Wasserfall über Dap: ihre Wut auf ihren Vater, weil er
ihre Träume zerstört hatte â nicht, weil er ihr verboten hatte, eigene
Wege zu gehen, sondern weil er sich nicht um sie kümmerte, sie niemals
unterstützte. Weil er durch seine Gier und seine Betrügereien den Namen
LeBrae in der Raumfahrergemeinde entehrt hatte.
Ihr
Zorn richtete sich nicht nur gegen ihren Vater, sondern auch gegen
ihren Bruder â weil er einfach nicht bereit war, Rückgrat zu beweisen
und zu leben. Und sie haderte auch mit sich selbst â weil sie
sich innerlich nicht von beiden gelöst hatte und ihren eigenen Weg
gegangen war â sie hielt sich für eine Versagerin, nicht nur als
Rigger, sondern auch als Mensch.
In dem Schwindel
erregenden Energiefeld des Traumlink spürte sie, dass sich die
Verbindung zwischen Dap und ihr dehnte und spannte, wie ein Stoff, an
dem man so lange zerrt, bis das Gewebe reiÃt. Was tat sie nur? Das
Ãffnen von Geist und Seele war das Positive am Traumlink â und eine
Gefahr. Durch das Link fühlte sie Daps Ãberraschung und Betroffenheit,
seine Verwunderung, dass jemand so heftige Qualen empfinden und
herauslassen konnte.
Das sind nur Phantasien, flunkerte sie, doch die Lüge wurde sofort durchschaut. Ich konnte nicht dagegen an, ich wollte dich nicht â ihre Gedanken verwirrten sich, als sich ihre Verlegenheit in ein
flimmerndes Glühen verwandelte und die Bilder des Link in ein rotes
Licht tauchte.
Jael, flüsterte er. Ich hätte nie gedacht â woher sollte ich es auch wissen? Wie konntest du das alles in dir vergraben?
Daps
Gedanken verloren sich in einem statischen Rauschen, als er zu
begreifen versuchte, was sie ihm gezeigt hatte. Eine Weile übermittelte
ihr das Traumlink keine Worte, keine konkreten Gedanken. Ihre Gefühle
schienen ihn abzustoÃen. Offenbar wollte er sich zurückziehen. Sie
spürte seine ⦠ja, was? Seine Abscheu?
Jael, ich wusste, dass du es nicht leicht hattest, aber ⦠wie kannst du ⦠wie kann überhaupt jemand ⦠damit leben? Seine Gedanken verhedderten sich vollends und der mentale Fluss versiegte.
Dap! Du hast mir versprochen, mich zu verstehen! Warte ⦠bitte ⦠geh nicht!
Aber
es war zu spät; das Band war gerissen, gekappt durch Daps Entsetzen.
Was hätte er anderes empfinden können als blanken Horror? Dap! Doch er tat bereits das, was jeder vernünftige Mensch getan hätte. Ohne
ein weiteres Wort klinkte er sich aus dem Traumlink aus. Ohne sich
körperlich von der Stelle zu rühren, entschwand er wie ein Gespenst aus
dem glühenden Lichthof, in dessen Zentrum sich Jael befand. Dieses
Energiefeld, das für eine Weile Jaels Universum ausgemacht hatte,
verwandelte sich in einen Schild, der ihr die Luft abschnürte und nur
noch ihren persönlichen Schmerz und ihre Selbstvorwürfe schützte. Sie
merkte, dass Dap sie nicht einmal mehr anschauen konnte. Sie spürte,
wie er von seinem Sessel aufstand, sich abwandte und das Zimmer
verlieÃ. In ihrer Pein stieà sie einen stummen Schrei aus.
Dann
war sie selbst ihr letztes und einziges Publikum; sie lieà ihre Qualen
in dem Feld tanzen wie Fäden aus Feuer, die sich wie eine Schlinge um
sie legten und sie langsam erdrosselten. Es war niemand da, der ihr
hätte helfen können, vor ihrem Kummer zu fliehen; es gab keinen, der
ihr Unterstützung geboten hätte, weder Dap noch früher ihr Vater.
Weitere Kostenlose Bücher