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Im Interesse der Nation

Im Interesse der Nation

Titel: Im Interesse der Nation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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einverstanden, daß der Kerl aus der Botschaft in Kairo raus muß, aber das sehen sie vielleicht in erster Linie als praktische Notwendigkeit. Sie möchten um jeden Preis Öffentlichkeit und eine politische Krise vermeiden, aber es scheint mir zweifelhaft, ob die überhaupt begreifen, was es bedeutet, wenn ein westliches Land zum erstenmal einen Vizeadmiral des GRU in die Hand bekommt. Nein, das kapieren die bestimmt nicht.«
    Das Gespräch verstummte. Samuel Ulfsson zündete sich eine neue Zigarette an und sah aus seinen ungeputzten Fenstern; in dem grellen Frühlingslicht war der Schmutz gut zu sehen. Schmelzwasser tropfte vom Dach und wurde vom Wind gegen die Fenster geweht, und das war wohl der Grund, daß sie im Frühling so dreckig wurden. Luftverschmutzung, die im Schnee verborgen gewesen war. Das Tauwetter brachte den Dreck an den Tag.
    »Mit allen zu Gebote stehenden Mitteln«, brummte Carl.
    »Genau«, sagte sein Vorgesetzter und sog an seiner Zigarette, »mit allen zu Gebote stehenden Mitteln… im Interesse der Nation.«
    »Wenn also irgendein GRU-Gorilla unserem geschätzten Überläufer ans Leder will, muß er unschädlich gemacht werden?«
    »Ich möchte auf solche Fragen nicht antworten.«
    »Willst du dich auch raushalten? Deniability?«
    »Ich fürchte, das ist bei allen nötig. Möglicherweise nur bei dir nicht.«
    »Das bedeutet aber auch, daß weder du noch sonst jemand sich darum kümmern wird, wie mein Gepäck aussieht. Ich reise mit diplomatischer Immunität. Bedeutet das, daß mein Gepäck nicht durchsucht werden wird?«
    »Rein formell ist das schon so, aber in diesem Fall solltest du so vorsichtig wie nur möglich sein, zumindest mit dem Handgepäck.«
    »Das Problem läßt sich lösen. Ich brauche aber noch ein paar Dinge vom Wehrbeschaffungsamt, kannst du mir dabei helfen?«
    »Wahrscheinlich ja. Worum geht es?«
    »Unter anderem um eine bestimmte Munition des Kalibers .357 Magnum, teflonbeschichtete Geschosse mit Urankern, und dann Munition vom selben Kaliber oder möglicherweise neun Millimeter mit besonders schwacher Pulverladung. Ich weiß, daß sie die Sachen haben.«
    »Wozu braucht man so etwas?«
    »Wenn ich antworte, riskierst du deine deniability.«
    Samuel Ulfsson seufzte.
    »Gib mir eine Liste und mach dich innerhalb von achtundvierzig Stunden reisefertig. Was immer du an Hilfe brauchst, ich werde versuchen, es zu erledigen. Übrigens - haben wir Paßbilder von dir im Archiv?«
    »Ja.«
    »Gut. Ich sorge für Diplomatenpaß und Visum des Militärattachés, und du triffst deine eigenen Vorbereitungen.«
    »Sollte man mich nicht erst zum Fregattenkapitän befördern, damit ich Militärattache werden kann?« lachte Carl, der sich plötzlich unerklärlich ausgelassen fühlte.
    »O nein, so nicht. Los mit dir, fang an zu arbeiten, damit du mit dem Russen nach Hause kommen kannst. Hinterher machen wir dich dann gern zum Konteradmiral.«
    »Ist das ein Versprechen?«
    »Kein Versprechen, das nicht von meiner deniability gedeckt würde.« Sie gaben sich die Hand und sahen einander in die Augen.
    »Viel Glück, Carl«, sagte Samuel Ulfsson und spürte, wie er eine Gänsehaut bekam.
    Nachdem Carl das Zimmer verlassen hatte, saß der Chef des Nachrichtendienstes drei bis vier Minuten mucksmäuschenstill, während seine Zigarette mit einem letzten stinkenden Protest im Aschenbecher verglühte. Er zündete sich sofort eine neue an.
    Samuel Ulfssons Vertrauen in die Kompetenz des jungen Hamilton war fast unbegrenzt. Was dieser Hamilton in nur wenigen Jahren erreicht hatte, war etwas, wonach man selbst in der Unterhaltungsliteratur suchen mußte. Aber wenn das GRU die Spur aufgenommen hatte, das GRU, das hinter neunzig Prozent der politischen Morde steckte, die man im Westen aus Unkenntnis dem KGB zuschrieb, wenn dieses GRU die Witterung aufgenommen hatte, war die Katastrophe unvermeidlich, in welcher Form auch immer - deniability hin, deniability her.
    Kriminalinspektor Rune Jansson unterdrückte in weiser Voraussicht den Impuls, die vier Steintreppen zum Stockwerk des Morddezernats im Polizeihaus hinaufzusprinten. Er entschloß sich jedoch zu einem Kompromiß und ging die Treppen zu Fuß hinauf, langsam, mit der Hand auf dem hellen Holzgeländer, bis er durch die braune Holztür trat. Er stellte fest, daß die Druckbuchstaben auf dem Hinweisschild aus grünem Filz neben der Tür immer noch schief saßen. Es sah schlampig aus, und das nun schon seit mehreren Jahren, ohne daß sich jemand

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