Im Land der gefiederten Schlange
die Worte sich im Mund anfühlten, erinnerte er sich genau. Vor allem erinnerte er sich an das, was sie ausgelöst hatten. Er konnte nicht noch einmal derjenige sein, der Menschen so etwas antat. Hilfesuchend sah er zu Katharina, obwohl er sich schämte, von einem Kind zu verlangen, was er selbst nicht fertigbrachte. War Katharina überhaupt noch ein Kind? Sie sah nicht mehr wie ein Kind aus, auch wenn er wusste, dass sie immer noch wie eines lachen konnte. Ihre Augen, weit und unglaublich blau, waren nie Kinderaugen gewesen. Bald wird ein Mann sich in diesen Augen verlieren, dachte er und erschrak.
»Wie kann er denn essen?«, fragte Katharina. »Die arme Jette ist doch tot.«
Marthe zuckte zusammen. Es ist das Wort, dachte Christoph. Die Endgültigkeit. Dem kleinen Felix glitt der Stift aus den Fingern. Luise sprang von der Fensterbank, den gezuckerten Mund weit aufgesperrt. »Doch nicht Jette, nicht meine Jette!« Statt einer Antwort lief Katharina zu ihr und fing sie in den Armen auf.
»Das ist eben so«, sagte die alte Hille, die aufgehört hatte Chilis zu zerpflücken. »Wenn eine denkt, sie hat ein Recht darauf, ihre Kinder zu behalten, dann ist sie eine törichte Gans. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen«, zitierte sie kalt. Aber »der Name des Herrn sei gelobt« fügte sie nicht hinzu.
Verstohlen sandte Christoph einen Blick in ihr zerfurchtes, keine Regung verratendes Gesicht. Wenn die den Verstand verloren hat, weiß ich keinen, der noch einen besitzt, dachte er.
Dörte knetete weiter ihren Teig, walkte und wuchtete, rollte und rupfte, während ihr Tränen über die geröteten Wangen strömten, als würden sie nie mehr versiegen.
Neben dem Herd mit Marthes Suppentopf lag eine flache Schachtel. Marthe ließ den Rührlöffel fahren, hob die Schachtel auf und trug sie hinüber zu Dörte. »Sieh her«, sagte sie. »Darin ist das Bild von deiner Jette. Ich habe das Traude bringen wollen, aber ich lasse es hier bei dir.« Vorsichtig öffnete sie den Deckel, und einen Augenblick lang war es, als wäre der Tod besiegt. Dörte hörte zu kneten auf, und wie Kinder scharten sie sich um das, was unter dem Deckel zum Vorschein kam. Es war mehr als ein Bild. Es war der letzte Herzschlag, der alle fünf Hartmann-Mädchen lebendig vereinte, ihr Lachen in Sepiabraun gefangen. Hier im Raum war Jette noch Wirklichkeit. Ihre Augen blitzten kokett, und der lächelnde Mund entblößte weiße Zähne.
»Du kannst das nicht hierlassen«, stammelte Dörte. »Schließlich hat Traude dafür bezahlt.«
»Hat sie nicht«, erwiderte Marthe brüsk. »Bezahlt habe ich, sonst hätte der Halsabschneider es nicht herausgerückt. Ich meine, das war ja unschwer zu erkennen, dass Traude sich mit diesem Fest übernommen hatte – der Champagner, das Eis, die Musik. Es geht uns gut, das ist richtig, aber wenn ein bisschen Wohlstand zur Verschwendung führt, hält er nicht lange vor.«
Bestimmt hatte Dörte keines von Marthes Worten erfasst. Sie hatte einen Finger unter Jettes Gesicht auf das Bild gelegt. »Aber Traude hat es doch bestellt«, krächzte sie. »Es gehört doch ihr.«
»Es gehört uns allen«, bestimmte Marthe. »Unsere Kinder sind darauf. Immer die soll es bekommen, die es am nötigsten braucht, also bleibt es bis auf weiteres bei dir.«
Resolut entzog sie Dörte das Bild und schob es wieder in die Schachtel. »Verdirb es nicht mit deinen teigigen Fingern. Es ist wie eine Zeichnung – es gibt nur eines davon.«
»Nein!«, begehrte eine kindliche Stimme auf. Marthe drehte sich um und sah in Felix’ Gesicht. »Nein«, wiederholte er, »auch wenn es nur eines gibt, wie eine Zeichnung ist es trotzdem nicht. Der Mann hat Jette ja gar nicht gekannt. Auf dem Bild ist ihr Kleid zu sehen, ihre Haare, ihr Schmuck – aber nichts, was er über sie gedacht hat.«
Der Junge nahm den Bogen Papier und hob ihn in die Höhe. Christoph entfuhr ein Laut. Von dem Blatt sah ihnen Jette entgegen, verschmiert und unfertig zwar, aber unverkennbar. War es möglich, dass ein Zwölfjähriger so zeichnen konnte, noch dazu eins von Fietes Kindern, die er nie für feingeistig gehalten hatte? Die Jette auf der Zeichnung lächelte nicht und wirkte auch nicht kokett. Das Haar fiel ihr lose auf die Schultern, wie sie es als Kind getragen hatte.
»Leg das weg«, befahl ihm Marthe. »Du tust deiner Mutter weh. Und wir sollten nicht hier rumstehen, irgendwer muss sich schließlich um Fiete kümmern.«
Felix gehorchte und legte das
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