Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
humpelte auf den Krücken einher, und Makri der Zauberer strich um die Gruppe herum. Sie marschierten aus dem Lager.
Der besorgte Leutnant blieb mit den restlichen Kriegern zurück. Tarukans Schar trat aus dem Feuerschein in die kalte Dunkelheit vor dem Morgengrauen. Gontas sah Tarukans Rücken vor sich, nur eine Armlänge entfernt. Er dachte daran, ihm die Krücke über den Schädel zu ziehen. Aber wie die Dinge jetzt lagen, hätte er den Südländer damit nur erzürnt, und womöglich wäre er gestürzt bei dem Versuch, die Krücke zu heben.
Gontas verzichtet darauf, seine Feinde mit einer solchen Posse zu belustigen, und er verfluchte seine Schwäche. Er musste auf eine bessere Gelegenheit hoffen. Im Inneren der Zitadelle mochte es vielleicht einmal einen Augenblick geben, wo ein leichter Stoß über Leben und Tod entscheiden konnte …
Sie stiegen den Abhang hinauf, über dürres Gras und zwischen kleinen Felsen hindurch. Der Styx stand vor ihnen wie ein Leuchtfeuer, groß und rot, genau hinter der Spitze des Berges. Gontas vermeinte ganz oben auf dem Gipfel einen Turm auszumachen, so dünn wie eine Nadel, eine schmale Silhouette vor dem Hintergrund des Mondes, die in das fette Gestirn hineinzustechen schien.
Seine Augen gewöhnten sich an das Licht, und zum ersten Mal sah er die Zitadelle aus der Nähe. Die untersten Bauwerke erhoben sich etwa nach einem Viertel des Weges an der Bergflanke hinauf. Es handelte sich um riesenhafte würfelförmige Bauten, die ohne Ordnung ineinander- und übereinandergebaut worden waren. Sie lagen dunkel da im Mondlicht, und in dem Mauerwerk waren weder Tore noch Fenster zu erkennen.
Nicht ganz eine Meile davon entfernt hielt Tarukan inne.
»Hier in der Gegend muss die Grenze verlaufen«, sagte er zu Halime. »Los jetzt, Mädchen. Sag uns, wie wir reinkommen!«
Der Himmel über den Hügeln im Osten färbte sich rot, und das Licht des anbrechenden Tages vermischte sich mit dem bedrohlichen Schein des Styx, der unbeweglich an derselben Stelle verharrte, als wäre er an den Berg gekettet. In der aufziehenden Dämmerung sah Gontas nun auch die Leichen, die am Berghang lagen, verkrümmte und reglose Umrisse zwischen den Steinen, ein paar Dutzend Schritt vor ihnen und ein Stückchen weiter oben. Es war noch zu dunkel, um Einzelheiten auszumachen, dennoch sahen die toten Körper eigenartig aus, wie ausgezehrt, verkümmert, verbrannt.
»Sag schon, Mädchen«, wiederholte Tarukan ungeduldig. »Ich werde deinen großen Freund gleich vorausschicken, und wenn der Weg zur Zitadelle dann nicht frei ist …« Er musterte Gontas bedeutungsschwer.
Halime stand mit gesenktem Kopf da. Sie löste ihre Finger aus dem Griff ihrer Begleiterin und trat vor. Einem Krieger hinter Gontas stockte vernehmlich der Atem. Halime hob eine Hand, die Handfläche gegen das ferne Gebäude gerichtet. Sie wirkte sehr konzentriert dabei.
Schließlich drehte sie sich zu den anderen um. »Der Weg ist frei.«
»Das ist alles?« Tarukan klang unsicher.
»Mir und denen, die bei mir sind, wird nichts geschehen«, sagte Halime.
Gontas versuchte, ihr in die Augen zu sehen, aber ihr Blick war nicht zu deuten. Gontas dachte an das kleine schweigsame Mädchen, dem er im Frühling bei den Zelten der Cefron begegnet war. Heute kam Halime ihm älter vor. Die zierliche Gestalt, die runden Kinderaugen, all das wollte nicht recht passen zu dem Ernst, mit dem sie bei der Sache war.
Der Gedanke, dass nun sie es war, die ihn beschützte, nach der ganzen langen Reise, behagte ihm gar nicht.
Tarukan musterte das Mädchen wortlos. »Na gut«, befand er schließlich. »Nurdh, schnapp dir den Buschländer und geh voraus.«
Der Söldner hinter Gontas trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Aber Herr! Bedenkt, was mit den anderen geschehen ist, die Ihr geschickt habt, um den Schutzkreis auf die Probe zu stellen.« Er zeigte auf die Toten im kargen Gras vor ihnen.
»Das Mädchen sagt, es sei sicher«, meinte Tarukan. »Wenn sie lügt, stirbt ihr Freund als Erster. Und jetzt geh, bevor ich dich einen Feigling nenne.« Tarukan legte die Hand an den Säbelgriff.
»Ja, Herr«, erwiderte der Söldner. Er packte Gontas am Oberarm und zerrte ihn mit sich, so heftig, dass dieser fast über seine Krücken stolperte. Nurdh stapfte an Tarukan und Halime vorbei. Gontas humpelte an seiner Seite mit, so gut er es vermochte. Er biss die Zähne aufeinander.
»Und, Nurdh«, sagte Tarukan, als sie auf gleicher Höhe waren. »Geh etwa den
Weitere Kostenlose Bücher