Im Netz des Teufels
Anna und Marya. Ich habe mich geirrt. Wenn ich Sie erschreckt habe, tut es mir furchtbar leid. Sie sind nicht in Gefahr.‹«
Sondra sprach den Namen wie Maria aus. Powell warf kurz einen Blick auf das Foto der Zwillinge auf dem Kaminsims. »Ihre Töchter heißen Lisa und Katherine?«
»Ja.«
»Wer sind Anna und Marya?«
Sondra sagte, sie wisse es nicht. An ihrem Gesichtsausdruck und der Art, wie sie einen Finger um den anderen schlang, erkannte Powell, dass sie tief im Inneren, wo die Angst sich einnistete, zu glauben schien, es bald zu erfahren.
»Und dann ist er aus dem Fenster gestiegen, und Sie haben ihn nie wieder gesehen.«
»Das ist richtig.«
»Haben Sie beobachtet, in welche Richtung er gegangen ist? Haben Sie gesehen, ob er in einen Wagen gestiegen ist?«
»Nein«, sagte Sondra. »Habe ich nicht.«
»Was haben Sie getan?«
»Ich habe das Fenster geschlossen, die Rollos heruntergelassen und das Licht ausgeschaltet. Dann habe ich meine Töchter in die Arme genommen.«
»Natürlich.« Powell machte sich wieder eine Notiz, schwieg einen kurzen Augenblick und wandte sich nun James zu. »Darf ich fragen, wo Sie waren, als das passiert ist, Sir?«
James räusperte sich. Es hörte sich an, als wollte er Zeit schinden. Powell kannte alle Verzögerungstaktiken – Räuspern, sich am Unterschenkel kratzen, die Bitte nach Wiederholung einer einfachen Frage.
»Ich war in der Schule, an der ich unterrichte. Die Franklin Middle School auf der Sussex Avenue.«
Powell blätterte ein paar Seiten zurück. »Sie waren um neun Uhr abends noch in der Schule?«
»Wir hatten Elternsprechtag, und ich habe mitgeholfen aufzuräumen.«
Powell schrieb alles auf. Sie würde in der Schule anrufen, um die Richtigkeit von James’ Aussage zu überprüfen, und die Zeitangabe mit dem Mord an Viktor Harkov abgleichen.
»Wann sind Sie nach Hause gekommen?«
»Ich glaube, es war kurz vor zehn.«
»Sie brauchen eine Stunde von der Schule bis nach Hause?«
»Nein. Wir haben unterwegs noch einen Kaffee getrunken.«
»Wir?«
James nannte Powell die Namen zweier Kollegen.
»Und Ihre Frau hat Ihnen nichts von dem Vorfall erzählt, als Sie nach Hause kamen?«
»Nein.«
»Erinnert Sie die Beschreibung Ihrer Frau an jemanden?«
»Nein.«
Powell wandte sich wieder Sondra zu. »Haben Sie das Kinderzimmer seit dem Vorfall geputzt, Mrs Arsenault?«
»Nein.« Sondra sah ein wenig verlegen aus, als würde dieses Eingeständnis beweisen, dass sie eine schlechte Hausfrau war.
»Meine Kollegen von der Kriminaltechnik stehen auf Abruf bereit«, sagte Powell. »Sind Sie einverstanden, wenn sie in dem Raum nach DNA-Spuren und Fingerabdrücken suchen?«
»Ja«, sagte Sondra.
Powell zog das Handy aus der Tasche, wählte die Nummer der Wettervorhersage und lauschte. Es würde mindestens zwei Stunden dauern, bis ihre Kriminaltechniker hier wären, aber das brauchten die Arsenaults nicht zu wissen. Als die Wettervorhersage begann, sagte sie ein paar belanglose, offiziell klingende Sätze. Anschließend schaltete Powell das Handy aus und trank einen Schluck Kaffee, der mittlerweile kalt geworden war. Nachdem sie die Tasse wieder auf den Tisch gestellt hatte, beugte sie sich auf dem Stuhl nach vorn, um Vertrauen herzustellen, und fuhr fort.
»Ich halte Sie beide für vernünftige, intelligente Menschen. Darum werden Sie auch wissen, dass ich Ihnen noch eine Frage stellen muss.«
Jetzt kommt’s , stand auf Sondras Gesicht geschrieben.
»Ein Mann bricht in Ihr Haus ein«, fuhr Powell fort. »Offenbar hat er nichts gestohlen und niemandem Schaden zugefügt. Er scheint geglaubt zu haben, Ihre Töchter seien kleine Mädchen namens Anna und Marya. Ist das so weit richtig?«
Sondra nickte.
»Warum, glauben Sie, hat das irgendetwas mit dem Mord an einem Anwalt in Queens zu tun?«
Sondra nahm sich Zeit für die Antwort. »Im Zeitungsbericht stand, dass dieser Anwalt Adoptionen ausländischer Kinder vermittelt hat.«
»Ja«, sagte Powell. »Das hat er.«
»Und dieser Mann, der Einbrecher, sprach mit einem Akzent. Osteuropäisch, russisch, vielleicht baltisch.«
Powell tat so, als würde sie darüber nachdenken. »Mrs Arsenault, ich bitte Sie, in New York leben viele Russen. Viele Menschen aus Rumänien, aus Polen und Litauen. Verzeihen Sie mir, wenn ich nicht sofort einen Zusammenhang erkenne.«
Sondra versuchte, Powells Blick standzuhalten, doch es gelang ihr nicht. »Wir ... wir kannten Mr Harkov.«
Powells Herzschlag beschleunigte
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