Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
meine Kinder, Tag für Tag, und alles wird nur noch schlimmer. Selbst nach einem Vierteljahrhundert sind Bel und ich durch eine unzerreißbare Kette miteinander verbunden, und das kann ich genauso wenig vergessen, wie ich die Wahrheit sagen kann.
Sie schaut wieder auf die Zeitung. Fragt sich, welche Freuden dort noch auf sie warten.
Blessed kommt mit Lebensmitteln und einer Zeitung vorbei. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst und voller Mitgefühl. Beinahe hätte Amber sie nicht hereingelassen, sie hat jedoch so lange geklopft und gerufen, bis sie schließlich durch die Vorhänge gespäht und sie in dem Menschenauflauf entdeckt hat. Sie öffnet die Tür, und auf der Stelle schiebt ein Fotograf seinen Fuß in den Spalt, in der Hoffnung, sie weit genug aufdrücken und eine Innenaufnahme machen zu können. Vielleicht von Amber in ihrem derangierten Zustand: die Frau, die so viel Zeit im Bademantel zubrachte, dass sie ihren Mann zum Mord trieb.
Es kommt zu einem Handgemenge, und Blessed lässt eine ohrenbetäubende Tirade im Predigerton auf den Mann los. Dann ist sie drin und sticht mit einem Schirm auf den Fuß ein, wobei sie schreit: » Sie kommen hier nicht durch! Sie kommen nicht rein!« Zu ihren Füßen kläffen Mary-Kate und Ashley wie verrückt, während sie die Tür zuschlägt und sich zu Amber umdreht. Dann wischt sie sich ab, als käme sie geradewegs aus einem Sandsturm. » So«, sagt sie. » Das war einfach.«
Amber bricht in Tränen aus.
Blessed stellt ihre Einkaufstüten ab und umarmt sie. Die erste Umarmung seit Jahren, an die Amber sich erinnern kann. Vic war nie groß darin– zu scharf darauf, wie sie jetzt begreift, seine Umarmungen bis zum Tod durchzuziehen. Was sie noch heftiger weinen lässt.
» Es tut mir leid«, sagt Blessed. » Ich wollte eigentlich schon früher kommen, aber du bist nicht ans Telefon, und da dachte ich, du bist vielleicht fortgegangen. Bis ich gehört habe, dass du im Funnland warst.«
» Nein«, widerspricht Amber. » Ich bin die ganze Zeit hier gewesen.«
» Ich habe dir ein bisschen Verpflegung gebracht«, sagt Blessed. » Ich wusste nicht, was du magst, also habe ich ein bisschen von allem gekauft. Du musst mir sagen, was du brauchst, dann bring ich es dir.«
Amber schnieft und wischt sich die Augen. » Vielleicht… Mir ist das Hundefutter ausgegangen. Die zwei leben von Thunfisch und Toast.« Sie hätte auch gern eine Flasche Whisky, weiß aber, dass das von einer Frau, die glaubt, alle Trinker kämen in die Hölle, zu viel verlangt ist.
» Okay«, meint Blessed. Sie tragen die Taschen in die Küche. Gebackene Bohnen. Ein Blumenkohl. Ein paar Kochbananen. Ein Schinkenbraten. Schokoladenmousse. Vollkorntoast. Erdnussbutter. Cheddar. Ein paar Tomaten. Hähnchen-Nuggets, die Blessed rasch ins Tiefkühlfach räumt. Und Vollmilch.
» Das ist ja… Du bist so großzügig«, sagt Amber. » Darf ich dir etwas Geld geben?«
Blessed schüttelt heftig den Kopf. » Auf keinen Fall. Das ist meine Pflicht. Ich kann kein Geld von jemandem nehmen, der in Schwierigkeiten ist. Du musst mir sagen, was du brauchst, und ich bringe es dir vorbei, vielleicht morgenoder übermorgen. Soll ich dir eine Tasse Tee machen?«
» Nein, das mach ich schon.«
Blessed lässt sich auf einem Stuhl nieder, während Amber den Kessel füllt. » Was macht die Arbeit? Was sagen sie alle?«
» Tstststs«, macht Blessed. » Was erwartest du denn, Amber.«
» Wer macht die Aufsicht?«
Jetzt schaut Blessed ein wenig unbehaglich drein. » Sie haben mich darum gebeten– während deiner Unterbrechung. Ich hoffe, das ist dir recht.«
Der Kessel schaltet sich ab. » Klar. Natürlich. Ich denke, du machst das prima. Du warst schon immer gut organisiert.«
Zähne blitzen auf. » Danke«, sagt Blessed. » Dein Vertrauen bedeutet mir sehr viel.«
» Milch und Zucker?«
» Ja, bitte. Zwei, bitte. Amber?«
» Ja?«
» Ich habe etwas, das ich dir zeigen muss. Zuerst wollte ich nicht, aber dann dachte ich, vielleicht sollte sie es wissen.«
Amber wird flau. Sie sucht Halt an der Arbeitsplatte. » Okay. Was ist es?«
Kirsty kehrt mit einer weiteren Tasse Kaffee an den Tisch zurück und schlägt die mittleren Seiten auf. Eine nicht mehr ganz junge Blondine, heftig geschminkt– üppiges Rouge, scharlachrote Lippen– und mit einem offensichtlich neuen, protzigen Haarschnitt, sitzt in einem Studio auf einem Bogen weißen Hintergrundpapiers, das Gewicht nach hinten auf eine Hand verlagert. Sie trägt Stöckelschuhe
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