Im Schatten (German Edition)
Gegenwart der anderen betont distanziert behandelte. War er unterwegs, schickte sie ihm manchmal eine SMS, doch eine Antwort kam selten. Langsam stieg in ihr der Verdacht hoch, er hielt sie bewusst auf Distanz. Auch zu Hause war ihre Anspannung deutlich zu merken, und Werner hatte sie schon einige Male auf ihre merkwürdigen Stimmungswechsel angesprochen, doch sie hatte es immer wieder der Überarbeitung zugeschoben. In Wirklichkeit wartete sie nur ständig auf Gelegenheiten wie diese. Vor allem die Dienstreisen nach Leipzig. Dieses Mal wollten sie zwei Tage bleiben. Nach einem anstrengenden Tag überwiegend auf der Baustelle, teilweise beim Auftraggeber und dem Bauunternehmer kamen sie endlich müde im Hotel an. Nachdem sie sich zum Essen verabredet hatten, gingen sie auf ihre Zimmer. Valerie brauchte erst einmal eine ausgiebige Dusche und ein paar Minuten ausgestreckt auf dem Bett. Eine gute Stunde später ging sie wie verabredet in die Hotelbar. Mark war schon dort, saß an einem Tisch und studierte die Speisekarte, ein Glas Whisky vor sich. Als sie sich zu ihm setzte, wirkte er seltsam reserviert. Er sprach während des Essens fast gar nicht, und sein Blick schien ständig zu wandern. Augenblicklich sank Valeries Stimmung in den Keller. Sie wusste, was das zu bedeuten hatte: Er hielt Ausschau nach einem potentiellen Opfer, und sie würde es in dieser Nacht nicht sein. Und richtig, nach dem Essen ging er schweigend zum Tresen, wo eine schöne junge Frau saß, mit der er gleich ein Gespräch begann. Sie redeten eine Weile und er nahm keinerlei Notiz mehr von Valerie. Deprimiert ging sie nach oben in ihr Zimmer und ins Bett, doch schlafen konnte sie nicht. Stattdessen rannen ihr die Tränen übers Gesicht, und sie schluchzte haltlos in ihr Kissen. Sie konnte kaum ein Auge zu tun in dieser Nacht und hatte das Gefühl, der Schmerz würde ihr die Kehle zu schnüren. Als sie am nächsten Morgen in den Frühstücksraum ging, saß er bereits am Tisch. Schweigend setzte sie sich dazu und goss sich einen Kaffee ein.
» Du siehst ja furchtbar aus. Und ich dachte, ich hätte ’ne harte Nacht hinter mir«, sagte er anstelle einer Begrüßung. Ohne zu antworten, nippte sie an ihrem Kaffee. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte und eine honigsüße Stimme fragte: »Sehen wir uns heute Abend?«
» Nein«, antwortete er, ohne aufzublicken. Sichtlich beleidigt ging die Frau weg. »Ich schlafe nicht zweimal mit einer Frau«, erklärte er Valerie, vollkommen die Tatsache ignorierend, dass er ohnehin nicht mehr da sein würde.
» Nicht?«, fragte sie bissig. Er legte eine Hand auf ihre und antwortete leise:
» Du bist eben etwas Besonderes.« Erneut kämpfte sie mit den Tränen, und damit er es nicht bemerkte, entzog sie ihm ihre Hand, fasste mit beiden Händen ihren Kaffeebecher und sah hinein.
» Isst du nichts?«, fragte Mark.
» Keinen Appetit.«
» Ist das deine Art von Diät? Nichts essen, nur Kaffee trinken?«
Sie schwieg und machte auch weiterhin keine Anstalten, sich etwas zu essen zu nehmen. Schon öfter hatte er sie in der Vergangenheit darauf angesprochen, dass sie doch endlich wieder zu normalen Essgewohnheiten übergehen sollte, damit sie nicht noch mehr abnehme, denn allmählich machte er sich Sorgen. Nun nahm er ungeduldig ein Brötchen, schnitt es auf, schmierte Butter und Marmelade darauf und hielt es ihr entgegen.
» Iss!«
» Ich sagte, ich habe keinen Appetit!« Ihre Stimme klang ebenso wütend, wie seine mittlerweile war.
» Hör zu, Baby, wenn dir die ganze Geschichte so auf den Magen schlägt, können wir es auch gleich hier und jetzt beenden. Kein Problem. Aber ich sehe nicht zu, wie du krepierst!« Valerie knallte ihren Kaffeebecher auf den Tisch und stand so abrupt auf, dass der Stuhl beinahe umgefallen wäre. Sie rannte aus dem Raum hinauf in ihr Zimmer, wobei sie erneut in Tränen ausbrach. Sie schloss auf und wollte die Tür hinter sich zuschlagen. Doch sie merkte nicht, dass sich ein Fuß dazwischen geschoben hatte. Eine Hand fasste sie am Oberarm, und er zog sie vehement in seine Arme. Sie prallte gegen ihn, und er küsste sie leidenschaftlich. Immer und immer wieder. Anfänglich versuchte sie, sich dagegen zu wehren, ihn fortzuschieben, doch schon bald war ihr Widerstand gebrochen. Ganz leise, als wäre es nicht für sie bestimmt, flüsterte er:
» Es tut mir leid. «
Ungestüm ließ er sich mit ihr aufs Bett fallen und liebte sie so leidenschaftlich wie
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