Im Sommer der Sturme
schrecklicher Tod. Doch Agatha hatte nicht die Absicht, Frederic diesen letzten Triumph zu gönnen. Sie war entschlossen, der Sache ein Ende zu machen, bevor es zu spät war. Deshalb war sie auch für Travis Thornfield eingesprungen und hatte zu ihrem Entsetzen entdecken müssen, dass bereits zehn Tage vergeudet worden waren. Der Diener war außer sich vor Sorge und hatte ihr liebend gern die Verantwortung überlassen.
Das Ganze war jetzt drei Tage her. Seitdem waren drei Tage mit Ermutigungen, Lockungen, Erklärungen, Begründungen und letztlich Beschimpfungen ins Land gegangen. Agathas Gedanken rasten, klammerten sich an Paul und wünschten, dass er zu Hause wäre. Doch was konnte er schon ausrichten, was sie nicht bereits versucht hätte? Gar nichts.
Frederic lehnte das Essen ab und nahm ausschließlich Wasser zu sich. Mit seinem vierzehn Tage alten Bart, dem verfilzten Haar, den hohlen Wangen und seinen fiebrigen Augen bot er ein schreckliches Bild. Seine Kleidung schlotterte um seinen ausgemergelten Körper. Aber diese Schwäche war Täuschung: Auf seinem selbstmörderischen Kreuzzug hatte er eine Grenze überschritten, seine Verzweiflung war wie ein Wassertropfen in der dürstenden Wüste verdampft und durch eine blindwütige Wut ersetzt worden, die sogar seine Schwägerin das Fürchten lehrte.
Doch heute wollte sich Agatha weder verjagen noch abschrecken lassen. Heute würde sie diesen unheiligen Krieg gewinnen. Sie sah auf das Tablett hinunter und wieder auf die geschlossene Tür. Wenn Frederic seine Frau betrauern wollte, so musste sie ihn eines Besseren belehren. Es war an der Zeit, dass sie ihm vor Augen führte, was für eine Frau Colette in Wirklichkeit gewesen war – womöglich eine drastische Maßnahme, aber gewisse Umstände erforderten zuweilen gnadenlose Methoden.
In großer Eile begab sich Robert Blackford zum Haus der Duvoisins und wartete geduldig im Wohnraum, während Travis Agatha seinen Besuch ankündigte. Man musste ihm nicht lange erklären, warum man ihn so spät noch hergerufen hatte, denn Agathas kurze Notiz hatte ein schlimmes Bild der Lage gezeichnet. Während der Woche hatten ihm außerdem schon mehrere seiner Patienten von Frederic Duvoisins »Trauer« berichtet. Auf der Insel wurde viel getratscht, und über die Duvoisins natürlich am liebsten. Wie es aussah, kam Frederic Duvoisin nicht über den Tod seiner Frau hinweg.
Wenn sich die Gerüchte bewahrheiteten, so drohten die derzeitigen Zustände die Dramen der Vergangenheit in den Schatten zu stellen. Angesichts der Ironie musste Robert schmunzeln. Sogar die handelnden Personen waren dieselben. Bis auf die Frauen. Vor etwas mehr als acht Jahren hatte seine jüngere Schwester Elizabeth die Rolle der Ehefrau gespielt. Ihr Tod hatte damals den Verstand des großen Frederic Duvoisin ebenso in den Grundfesten erschüttert, wie Colettes Tod das heute tat. Auch damals war ein Kind im Spiel gewesen, ein neugeborener Junge – John. Robert schauderte bei der Erinnerung, und sogar heute fragte er sich noch hin und wieder, wie Frederic dieses Erlebnis überstanden hatte. Er hatte öfter um sein Leben gefürchtet, weil Frederic ihn für Elizabeths Tod verantwortlich gemacht hatte. Dabei hatte er sich selbst die größten Vorwürfe gemacht. Nun gut, das Kind war eine Steißgeburt gewesen, was von vornherein gefährlich war. Aber er hatte alles darangesetzt, damit Elizabeth überlebte. Dennoch war sie irgendwann ohnmächtig geworden und nicht mehr aufgewacht. Frederic hatte ihm das nie verziehen.
Aber in dieser Nacht hieß das Problem nicht Elizabeth, sondern Colette: Eine neue Zeit, eine neue Situation – und trotz ähnlicher Umstände ein neuer Schmerz. Und Frederic war keine dreiunddreißig Jahre alt und stand nicht mehr am Beginn seines Lebens. Inzwischen war er über sechzig und hatte Schlimmes durchgemacht. Er war bereit aufzugeben und tat alles, um damit Erfolg zu haben. Im Grunde hätte sich Robert auf das Ergebnis freuen können, beendete es doch ihre lange und wechselhafte Beziehung. Aber ihm war klar, dass Frederics Tod seine Zwillingsschwester vernichten würde. Nur das trieb ihn zum Handeln. Nur aus Liebe zu Agatha wollte er diesen selbstmörderischen Absichten ein Ende machen.
Als sich die Tür öffnete, fuhr Robert herum und verschloss die Entscheidung, die er soeben getroffen hatte, tief in seinem Herzen. »Miss Ryan.« Er war überrascht, weil er einen der Dienstboten oder seine Schwester erwartet hatte.
»Dr.
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