Im Sommer der Sturme
und deren Selbstlosigkeit war ihr fremd. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass solche Versuche der Versöhnung immer vergeblich waren. Mit entschlossener Miene stand sie auf.
Aber John war nicht leicht zu beeindrucken. Sobald sie sich bewegte, folgte er ihr und vertrat ihr den Weg. »Ich will die Wahrheit wissen«, stieß er eiskalt hervor, »sonst haben Sie bald mehr als nur einen schmerzenden Arm, wenn Sie diesen Raum verlassen.«
Charmaine schauderte, aber gleich darauf siegte die Wut über ihre Furcht. »Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich war auf der Suche nach den Kindern, als ich hier in diesem Zimmer Geräusche gehört habe. Als ich rief und keine Antwort bekam, dachte ich, dass mir die Kinder einen Streich spielten. Also habe ich die Tür geöffnet. Der Zugwind hat die Blätter auf den Boden geweht. Ich habe sie nur …«
»Ein Zugwind bei geschlossenen Türen?«, fragte er. »Wollen Sie mich für dumm verkaufen, Mademoiselle? Ich habe den Brief in die Schublade gelegt. Vielleicht erklären Sie mir endlich, wie der Wind den Brief aus der Schublade herausgeblasen hat!«
Für einen Moment war Charmaine sprachlos. Aus der Schublade? Aber Colettes Brief hatte nicht in der Schublade gelegen! Vermutlich wollte er nur seine Wut und seine Enttäuschung loswerden – und ich kam ihm gerade recht .
Als John ihre Verwirrung sah und ahnte, dass sie vielleicht unschuldig war, ließ seine Wut merklich nach.
»Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt«, versicherte Charmaine erneut und straffte die Schultern. »Und jetzt lassen Sie mich vorbei!«
»Sie haben gelogen.«
»Ich habe nicht gelogen. Aber ich sehe, dass Leuten wie Ihnen die Wahrheit wenig bedeutet. Na los, schlagen Sie mich doch, wenn Ihnen dann wohler ist. Vielleicht ist das ja der Sieg, nach dem Sie schon den ganzen Vormittag suchen.«
Betroffen trat John wortlos zur Seite.
Charmaine war so geschockt, dass sie gar nicht so schnell reagieren konnte.
»Nun, my Charm …«, spottete er schließlich, »was hält Sie noch hier? Oder erwarten Sie vielleicht, dass ich gehe?«
Charmaine reckte ihr Kinn in die Höhe und lief um John herum. Von der Tür aus warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu, doch die Geste verfehlte ihre Wirkung, da er sich gerade mit der respektvollen Verbeugung eines Höflings verabschiedete.
Auf dem Korridor kamen Charmaine erneut die Tränen, sodass sie kaum etwas sehen konnte und vor der Tür zum Kinderzimmer mit George zusammenstieß.
»Charmaine«, rief dieser überrascht, »was ist geschehen?«
Sie versuchte, sich zu befreien, bis sie erkannte, wen sie vor sich hatte. »George! Sie sind wieder da!« Aufschluchzend stürzte sie in seine Arme.
»Aber, aber, es wird alles gut«, sagte er leise und fasste Mut, ihr den Rücken zu tätscheln. »Alles wird gut.« Bisher hatte er sie nur einmal so unglücklich erlebt, und natürlich fragte er sich, was sie dermaßen aus der Fassung gebracht hatte. Gleich darauf war es ihm klar, als ob ihn ein Blitz erleuchtet hätte.
Schüchtern hob Charmaine den Kopf und trocknete ihre Tränen. »Es tut mir leid, George.« Sie lachte ein wenig. »Ich wollte mich nicht an Ihrer Schulter ausweinen.«
»Das ist schon in Ordnung. Dafür sind Schultern schließlich da, oder nicht?« Gleich darauf wurde er ernst. »Würden Sie mir auch verraten, warum Sie geweint haben?«
»Aus keinem besonderen Grund«, log sie, doch sie mied seinen Blick.
»Wegen John vermutlich?«
Erstaunt sah sie ihn an. »Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß es eben. Was hat er denn Schreckliches gesagt?«
»Darüber möchte ich nicht sprechen.«
Da sie schon wieder den Tränen nahe war, drang er nicht weiter in sie. »Es ist sicher klug, ihm eine Weile aus dem Weg zu gehen. So viele traurige Neuigkeiten setzen ihm sicher sehr zu.«
»Warum sagen Sie das?«, fragte sie vorsichtig. »Wollen Sie ihn vielleicht verteidigen?«
»John ist für mich wie ein Bruder. Er ist kein schlechter Mensch, doch im Augenblick ist er sehr durcheinander.«
»Es tut mir leid, George, aber ich fürchte, ich habe heute den echten John Duvoisin kennengelernt – und zwar eine Seite, die er sonst niemandem zeigt. Seine teuflische Seite.«
George musste sich mühsam das Grinsen verkneifen, denn er hatte diese und ähnliche Sätze zu oft gehört. »Wie dem auch sei, gehen Sie ihm einfach aus dem Weg. Und zwar so weit wie möglich.«
»Keine Sorge, nichts anderes habe ich vor«, erwiderte Charmaine.
»Nun gut. Bevor ich jetzt gleich mit dem Teufel
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