Im Sturm der Sinne
sind.«
»Könnte es der Kelch sein, aus dem Christus bei seinem letzten Abendmahl getrunken hat?«
Gilead richtete sich auf und sah sie an. »Wenn er ihm gehörte, nehme ich an, dass er ihn auch benutzt hat. Warum fragst du?«
Deidre zögerte und sagte dann: »In dem Buch von dem ich dir erzählt habe, gibt es eine Geschichte über etwas, das der Heilige Gral genannt wird. Hast du je davon gehört?« Als er den Kopf schüttelte, fuhr sie fort. »Angeblich hat Jesus daraus getrunken, und nachdem er gekreuzigt worden war, nahm Joseph von Arimathea den Kelch mit sich, als er nach Britannien segelte. Er errichtete ein Kloster in Ynys Gutrin bei Aguae Sulis, aber der Kelch verschwand bald darauf.«
Gilead legte die Stirn in Falten. »Das ist weit im Süden von Britannien. Wie kommt es, dass du dich mit diesen Orten so gut auskennst, Fremde?«
»Ich bin kein Spitzel«, sagte Deidre mit angespannten Nerven. »Ich dachte, du würdest mir glauben. Ich versuche dir zu sagen, dass dem Kelch heilende Kräfte nachgesagt werden. Alle, die daraus trinken, fühlen nur Wohlwollen gegenüber anderen Menschen, sogar gegenüber ihren Feinden. Verstehst du denn nicht? Wenn der Gral gefunden würde, müsste es keine Kriege mehr geben. Frieden würde einkehren.«
Gilead lächelte. »Das wäre die Suche sicherlich wert. Aber wahrscheinlich ist er noch schwerer zu finden als dein Stein, von dem du zumindest sicher weißt, dass es ihn gibt.«
»Lass mich zu Ende sprechen, bitte. Die Legende besagt, dass nur ein Mann von reinem Herzen den Gral finden kann. Parzival, den viele für einen Narren hielten, war einer von ihnen. Galahad, Lancelots Sohn, ein anderer. Lancelot war es erlaubt, ihn erblicken zu können, aber natürlich war er …«
»Halt! Wer sind all diese Menschen? Ich habe noch nie von ihnen gehört.«
»Lancelot war König Artus’ bester Krieger und sein engster Freund«, begann Deidre, wurde aber schon wieder von Gilead unterbrochen.
»König Artus? Der einzige Artus, den ich kenne, ist Prinz von Dyfed. Meinst du den?«
Deidre starrte Gilead an und wurde dabei immer aufgeregter. Sollten die Geschichten in ihrem Buch also doch wahr sein? Vielleicht hatte sie einfach nur in der falschen Gegend gesucht. »Vielleicht«, sagte sie und versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen. »Lebt er in einem Schloss namens Camelot?«
Gilead sah sie verwirrt an. »Meinst du Camulodunum?«
Der lateinische Name des Ortes – der Titel des Buches! Ihre Brust zog sich zusammen, und ihr Atem ging in kurzen Stößen. Es existierte! »Ja!«
Er runzelte die Stirn. »Camulodunum ist eine alte römische Siedlung, mittlerweile tief im Gebiet der Sachsen im Südosten von Britannien. Auf der anderen Seite des Landes von Dyfed.«
Sie zog die Augenbrauen zusammen. Nicht dasselbe also, aber sie würde sich von Gilead ihren Traum nicht so schnell zerstören lassen. »Vielleicht ist es doch nicht der gleiche Name. Erzählt mir mehr über Artus.«
»Er ist regelmäßig in Gwynedd und Powys eingefallen«, antwortete Gilead. »Hat sich auf diese Art einiges an Land gesichert.«
Das könnte er sein!
»Denkt Ihr, ich könnte ihn treffen?«
Gilead schüttelte den Kopf und lächelte. »Nicht, wenn du nicht vorhast, Janus’ Ruf ins Jenseits zu folgen. Er wurde vor über fünf Jahren südlich von Dinas Mawddwy getötet.«
König Artus tot? Und noch nicht einmal in Camlann. Deidre fühlte die Luft aus ihren Lungen strömen, wie aus einem leeren Trinkschlauch. Lebte Gwenhwyfar denn noch? Das musste sie herausfinden. »Hatte König Artus eine Frau?«
»Prinz, nicht König.« Er überlegte einen Augenblick und schüttelte dann den Kopf. »Falls er verheiratet war, dann tut mir die Frau leid. Er war ein Tyrann und streitsüchtig wie kein Zweiter.«
Deidres gläsernes Bild der Mythen zerschellte wie feinste Keramik aus Phocaea auf römischen Fliesen. Scherben der romantischen Bilder, die sie seit Jahren in ihrem Kopf mit sich herumgetragen hatte, zerbarsten in alle Richtungen. Sie war fast überrascht, dass sie von den kleinen Splittern aus erträumtem Glas nicht zu bluten begann. Kein Camelot. Keine Ritter. Ein skrupelloser Artus und weit und breit kein Lancelot oder eine Gwenhwyfar, die ihre Hoffnung am Leben erhielten, dass die wahre Liebe eines Tages siegen würde. Wie sehr ihr törichtes Herz an diesen Traum hatte glauben wollen! Das Buch war eine einzige Lüge, nur ein grausames Spiel, das ein irrer Zauberer mit ihr getrieben hatte.
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