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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Eingang der Höhle mit Steinen blockiert?«, fragte Debbie.
    Nora nickte. »Ja. Die Stelle entspricht ziemlich genau seiner Beschreibung.«
    Sie machten sich an den Abstieg hinunter in die Bodensenke. Der Hang war steiler, als es von oben den Anschein gehabt hatte, und der Boden nass und rutschig. Mehr als einmal ruderten die beiden Frauen heftig mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Unten angekommen stapften sie sofort in Richtung des Felsens. Im Näherkommen bemerkten sie, wie genial dieses Versteck tatsächlich war: Die einzelnen Steine verschmolzen optisch fast völlig mit der Felswand dahinter, der dichte Pflanzenbewuchs kaschierte mögliche Unebenheiten oder Lücken. Sollte sich tatsächlich ein Wanderer hierher verirren, würde er im Leben nicht darauf kommen, dass es dort einen Fuchsbau oder etwas Ähnliches gab, das groß genug war, einem Menschen Platz zu gewähren.
    Debbie blieb stehen. Sie schob den Farn beiseite und versuchte, einen der Steine zu bewegen. Er rührte sich zunächst nicht, aber als sie kräftiger zupackte, gab er ein kleines Stück weit nach.
    »Ich denke, wir haben es gefunden«, sagte sie, aber sie zögerte, weiterzumachen. Zu schrecklich mochte sein, was hinter diesem perfekt getarnten Zugang auf sie wartete.
    Auch Nora stand wie angewurzelt da, starrte auf die Steine. Obwohl der Tag kühl war und ihre Kleidung nass vom Regen, fror sie nicht. Sie spürte ein inneres Brennen, von dem ihr warm wurde, ungesund warm. Sie merkte, dass ihr Kreislauf Probleme machte, und offenbar war es ihr anzusehen, denn Debbie musterte sie scharf und sagte: »Nora, wir müssen das hier nicht tun. Wir können jetzt auf der Stelle umkehren und nach Hause fahren, dann rufen wir die Polizei an und die sollen ihre Leute hierherschicken. Die sind ausgebildet für solche Sachen. Wir beide kippen am Ende um!«
    »Und was wird dann aus Ryan?«, entgegnete Nora, legte die Taschenlampen auf die Erde, beugte sich vor und fing an, die Steine beiseitezuräumen.
    Debbie seufzte, doch dann begann sie, Nora zu helfen. Es waren teilweise ziemlich große Felsbrocken, die sie abtragen mussten, und beiden lief nach kurzer Zeit der Schweiß in Strömen über den Körper. Debbie sprach als Erste aus, was jede von ihnen dachte: »Wenn Vanessa Willard tatsächlich befreit wurde oder sich selbst befreien konnte, dann hat sie sich anschließend eine Menge Mühe gemacht. Das hier aufzuschichten ist nicht einfach. Würde das eine Frau tun, die einem grauenhaften Tod knapp entkommen ist?«
    Nora hielt inne und strich sich die nass verklebten Haare aus dem Gesicht. »Wenn sie einen bestimmten Plan verfolgt, zu dem es gehört, dass weder ihre Flucht noch das Versteck, in dem sie untergebracht war, entdeckt werden, dann vielleicht schon. Und dass ihr Entführer im Gefängnis saß und auf unabsehbare Zeit ohnehin nicht herkommen würde, konnte sie ja anfangs nicht ahnen.«
    Debbie fragte sich, ob Nora das alles selbst glaubte. Sie verfluchte Ryan. Sie verfluchte ihre Gutmütigkeit, die sie dazu gebracht hatte, sich auf dieses Abenteuer hier einzulassen. Irgendwann, als ihre Kräfte schwanden, verfluchte sie bloß noch den Regen, der ihr inzwischen zum Kragen ihrer Jacke hineinlief und über ihren Rücken rann und der die Steine glitschig machte, sodass immer wieder die Finger abrutschten. Hatte sie nicht genug mitgemacht? War sie nicht noch immer, und vielleicht für den Rest ihres Lebens, vollauf damit beschäftigt, das Trauma ihrer Vergewaltigung irgendwie in den Griff zu kriegen? Musste sie nun tatsächlich hergehen und sich den nächsten Schrecken aufladen, der wieder für schlaflose Nächte, Angstzustände und Panikanfälle sorgen würde? Nur weil es sich diese Nora Franklin, die sie bis zum gestrigen Tag nicht einmal persönlich gekannt hatte, in den Kopf gesetzt hatte, dafür zu sorgen, dass Ryan Lee irgendwie mit heiler Haut aus diesem Wahnsinn herauskam. Okay, er war ihr Lebensgefährte über Jahre gewesen, sie hatte ihn einmal geliebt, und heute war er ein guter Freund, aber das rechtfertigte noch nicht …
    »Scheiße«, sagte sie laut, »Scheiße, das alles!«
    Genau in diesem Moment räumten sie die letzten Steine beiseite. Vor ihnen lag eine Öffnung, so schmal und so hoch wie ein etwa zehnjähriges Kind. Eine Art breite Felsspalte, für einen Erwachsenen nur mühsam passierbar, aber es war zweifellos möglich, dort hineinzugelangen. Nora stellte sich Ryan vor, mit seinen ein Meter fünfundachtzig, und wie er dann

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