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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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es bedeutet, wenn man sich mit einem Freigeist zusammentut, der nach seinen eigenen Regeln lebt. Mit einem, der sein Leben als CD-Verkäufer fristet und immer pleite ist.« Dom zog den Reißverschluss des Zelteingangs hoch.
    Luke saß regungslos da und versuchte, seinen Atem zu kontrollieren. Die Wut stieg wieder in ihm hoch. Wenn er sich so fühlte, fragte er sich manchmal, ob es eines Tages so weit sein würde, dass er jemanden töten würde.
    »Du solltest lieber mal darüber nachdenken«, sagte er zu der geschlossenen Zelttür, »wie du deinen fetten nutzlosen Arsch morgen aus diesem Wald rausschaffst. Ich werde nämlich nicht mehr da sein, wenn du aufwachst.«
    »Leck mich.«

27
    Phil und Dom schnarchten in ihren Zelten vor sich hin. Phil klang kaum noch menschlich, eher wie eine Maschine. Das war kein Geräusch, an das Luke sich gewöhnen konnte. Er und Hutch saßen einander gegenüber und setzten auf dem Kocher noch einen Kaffee auf. Solange sie Wasser fanden, konnten sie sich jede Menge Kaffee machen, denn davon hatten sie genug dabei. Sie rauchten und starrten den kleinen blauen Flammenring des Campingkochers an. Es war das einzige Ding, das ihnen noch etwas Angenehmes bieten konnte inmitten dieses Waldes, in dem es jetzt so dunkel war wie am Grund des tiefsten Ozeans. Wenn man zu sehr ins Dunkel schaute und versuchte, in dem Nichts irgendwelche Formen auszumachen, konnte man völlig die Orientierung verlieren. Um sie herum pladderte der Regen herunter.
    Luke hatte sich in sich zurückgezogen und wurde von nur allzu vertrauten Gedanken heimgesucht. Warum hatten manche Menschen einfach alles, Karriere, Geld, Liebe, Kinder, und andere gar nichts? Er war in seinem Leben noch nicht einmal in die Nähe dieser Dinge gekommen.
    Oder doch? Erneut verbiss er sich in die ungelösten Fragen seines Lebens. Wenn er eins von diesen Mädchen geheiratet hätte, die er ein Jahr, nachdem er sie kennengelernt hatte, wieder
verließ. Eine wie Helen oder Lorraine oder Mel – wäre er dann jetzt so wie Dom oder Phil oder Hutch?
    Die ganze Schwere der letzten Jahre drückte ihn wieder nieder, sogar hier, an diesem Ort, unter diesen Umständen. Nach allem, was er durchgemacht hatte, fühlte er sich noch immer nicht frei. Immer wenn er innehielt und ausruhte, wenn es nichts mehr gab, was ihn ablenkte, dann fühlte er sich müde und war angeödet von seinem Leben. Dann musste er vor sich selbst zugeben, dass er nichts erreicht hatte, was ihm half, seinen Schmerz, seine Vergänglichkeit, seine ständigen Richtungsänderungen, seine Desorientierung, seine Fehlschläge und Fehler zu ertragen. Und er gestand sich ein, dass er sich immer nach einer Familie gesehnt hatte, wie seine Freunde sie hatten, nach einem Heim, einer Karriere und einem scheinbar zufriedenen Leben. Ohne diese Dinge, das war ihm vor ein paar Jahren schon klar geworden, konnte man auch nicht im Entferntesten hoffen, von den anderen akzeptiert zu werden. Nicht ernsthaft, nicht in dieser Welt, nicht wenn man älter als dreißig war. Aber gleichzeitig verachtete er sich auch dafür, dass er sich danach sehnte, das zu bekommen, was Hutch, Phil und Dom hatten, diese scheinbare Sicherheit, die vielen so selbstverständlich vorkam. Er verachtete sich dafür, dass er sich danach sehnte, akzeptiert zu werden, weil er doch gleichzeitig wusste, wie überflüssig er sich in solchen Jobs und Stellungen vorkam. Aber trotzdem sehnte er sich danach. Das war der Kern seiner unseligen Existenz, seiner Verzweiflung. Wahrscheinlich würde er sterben, ohne je etwas erreicht zu haben, unfertig und enttäuscht.
    »Hör mal, Alter, es gibt da was, das ich dir nie erzählt habe«, sagte Hutch mit gesenkter Stimme, die dennoch angespannt klang, so als müsste er jetzt ein schwieriges Geständnis machen. Luke sah ihn an. Das Licht der Gasflammen flackerte über seine Augen und Wangen, der Rest blieb im Dunkeln. Unter der Wollmütze und der Kapuze, die er noch darübergezogen hatte, war Hutch kaum zu erkennen. Luke vermutete, dass er ihm von
etwas erzählen wollte, das er in der Kirche oder in der Hütte entdeckt hatte. Etwas, das er vor den anderen geheim halten wollte. Oder dass er sich bei den Berechnungen auf seiner Landkarte geirrt hatte.
    Luke richtete sich auf. »Na dann, raus damit. Das scheint ja das Motto des heutigen Abends zu sein. Weg mit all der Hinterlist und Tücke. Mir reicht es ohnehin.«
    »Das hab ich bemerkt.«
    »Glaubst du, ich bin zu weit gegangen?«
    »Du hast die

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