In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
dieses Muster auf ihrem Rücken und an den Unterseiten der Beine.«
Hayden beugte sich vor. »Ihr Freund hat sie weggezerrt und dann hochgehoben. Sie wog an die neunzig Kilo, er hat sich also ziemlich schwergetan. Als der Notarzt kam, hielt er sie in halb aufrechter Position im Schoß. Es spricht demnach tatsächlich einiges für seine Geschichte.«
Quentin ergänzte: »Nachdem ich die Aussage des Lebensgefährten gelesen habe, bezweifle ich, dass er der Mörder ist.«
»Weshalb?« Das interessierte Anya.
»Er spricht von seiner Freundin im Präsens. Das ist ungewöhnlich für einen Mörder. Es sei denn, er verdrängt die Tat oder er war zum fraglichen Zeitpunkt im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit und merkte gar nicht, dass er sie totstach. Aber dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte.«
»So wie er geweint hat, kann er es gar nicht verdrängt haben«, sagte Anya zu ihrer eigenen Überraschung. Sie setzte nicht viel Vertrauen in Täterprofile, beruhten die doch keineswegs auf exakter Wissenschaft oder auf Wissenschaft ganz allgemein. Das waren alles nur Vermutungen, die aus wiedererkennbaren Mustern und subjektiven Urteilen gewonnen wurden. Und dennoch, eine neue Theorie zu hören war immer interessant.
»Vielleicht ist er einfach clever und spielt uns was vor«, mutmaßte Quentin.
»Lassen die Einstiche irgendwelche Rückschlüsse auf das Messer zu?« Hayden konzentrierte sich auf die Fakten. »Bis jetzt haben wir es noch nicht gefunden.«
»Die Tiefe der Wunden sagt kaum etwas aus, da die Einstichtiefe von diversen Faktoren abhängt, dem ausgeübten Druck zum Beispiel. Ein kurzes Messer kann ziemlich tief eindringen, wenn man nur genug Druck ausübt. Außerdem spielen die Bewegungen des Opfers eine Rolle. Läuft das Opfer auf den Angreifer zu, der seinerseits Kraft aufwendet, so wird die Wucht noch einmal gesteigert. Und auch die Schärfe der Klinge spielt eine ganz entscheidende Rolle.« Anya hoffte, die beiden damit nicht zu langweilen, aber sie schienen durchaus interessiert. »Und um das Ganze noch etwas komplizierter zu machen, weisen Kleidungsstücke, Knochen und Knorpel einen höheren Widerstand als die Haut auf, was sich ebenfalls auf die Tiefe des Eindringens der Waffe auswirkt.«
»Und die Größe der Eintrittswunden?«, hakte Hayden nach. »Lässt sich daraus etwas über die Breite der Klinge sagen?«
»Kaum. Die Haut ist elastisch, und die Wunde verformt sich meist, nachdem das Messer herausgezogen wird. Stichwunden haben kaum je dieselbe Größe wie das Messer. Die Größe des Einstichs kann Minimum um plus/minus einen Zentimeter schwanken.«
»Das ist natürlich eine erhebliche Bandbreite, wenn man die Messergröße bestimmen will. Es könnte also praktisch alles von einem Eispickel bis hin zu einem Bowiemesser sein.«
»Schlimmer. Die Größe der Wunde hängt auch davon ab, ob der Täter das Messer dreht und ob das Opfer sich bewegt, während das Messer noch in der Wunde steckt.« Anya demonstrierte es mit einem Buttermesser, das vom Mittagessen liegen geblieben war. Mit Zeigefinger und Daumen bildete sie einen Kreis und drehte das Messer darin. »Das ergibt eine wesentlich größere Eintrittswunde.« Sie wählte eine der Brustverletzungen aus. »Hier ist genau das passiert. Seht ihr, deshalb ist sie dreieckig.«
»Wie steht’s mit gezahnten Klingen?«, fragte Hayden. »Kannst du uns darüber etwas erzählen?«
»Die Rippen sind angeritzt, das sieht aber nicht nach einem Zahnschnitt aus. Da müsste man bei einem forensischen Anthropologen nachfragen, um sicherzugehen.«
»Könnten die Verletzungen auch von etwas anderem herrühren?« Quentin strich sich über das Kinn. »Wir vermuten ja nur, dass es ein Messer war.«
»Stumpfe Gegenstände wie Schraubenzieher führen zu einem anderen Verletzungsmuster. Damit würde man die Haut zum Platzen bringen. Eine Schere hinterlässt in der Regel ein Z.« Sie betrachtete noch einmal die Einstiche, diesmal mit dem Vergrößerungsglas. »Ich würde sagen, der oder die Mörder haben ein Messer benutzt, ein ausgesprochen scharfes.«
Sie überflog den Bericht zu den Genitalverletzungen. An den Schenkelinnenseiten waren noch schwach die Reste von Blutergüssen feststellbar. »Die Quetschungen an den Schenkeln sind alt. Normalerweise holt man sich Blutergüsse an den Schenkelaußenseiten, wenn man irgendwo dagegenläuft. Es ist schwierig, sich die Innenseite zu quetschen, dazu braucht es immer eine gewisse Krafteinwirkung.«
Hayden seufzte.
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