In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
stehen.
Ich starrte etwas überfordert in die Dunkelheit. Nach einer Weile erkannte ich, dass hier, auf der stadtabgewandten Seite, eine Art große Nische in die Felswand hinein gehauen worden war, wie ein heidnischer Tempel in den Bergen.
Akhanta hatte inzwischen ihren Speer weggelegt und sich vor den dunklen Eingang gestellt. Ihre Ellbogen drückte sie gegen ihren Bauch und die Unterarme streckte sie mit offenen und nach oben gerichteten Handflächen dem Felstempel entgegen.
» Gudie laga ganza, salak ka-ti «, rezitierte sie.
Ich erstarrte, denn im selben Augenblick erleuchtete sich der gesamte Tempel von innen und erstrahlte in einem gedämpften, blauen Licht.
»Komm mit«, warf Akhanta über ihre Schulter. Ich beeilte mich, ihr nachzulaufen.
»Was war das für eine Sprache?«
»Das Dam-Har , die alte Sprache der Schatten«, erklärte sie, als wäre es die natürlichste Sache der Welt und ich hätte gerade das geistige Niveau eines Türstoppers bewiesen.
Die Sacraporta war ein offener Raum, direkt in den Fels gehauen. Entlang der gewölbten Wand standen sieben Throne auf denen sieben Statuen saßen. Drei waren weiblich, drei männlich und die siebte, in der Mitte sitzende Gestalt, mutete nicht einmal menschlich an. Die Decke entsprach einer Kuppel, und in der Mitte des halbkreisförmigen Bodens befand sich eine seltsame Vorrichtung, die wie ein Torbogen anmutete. Ich überlegte eine Weile, woran mich dieser Ort erinnerte, bis mir schwarzweiße Fotos des Sonnentors in Tiahuanaco einfielen, die ich bereits als Kind in einem Buch gesehen hatte.
Doch die Öffnung in diesem Durchgang war überzogen mit einem Schleier aus Licht.
»Was ist das für ein Ort?« fragte ich und sah Akhanta an.
»In den alten Tagen, als die Inferni das Schattenreich regierten und die Engel im Diesseits walteten, erlaubten ihnen die Sacraportas, überall gleichzeitig zu sein.«
Es klang wie der aufgesagte Schwur einer Jungpionierin.
»Dann sollten wir uns wohl beeilen«, wandte ich ein. »Dieses Flimmern sieht man vermutlich in der ganzen Umgebung.«
Sie nickte und trat neben mich.
»Du musst nur durch das Tor treten, hinein in das Licht. Es wird dich in die Nähe der Apythia bringen, tief in der Dunklen Stadt. Wenn du den Tempel nicht findest, halte Ausschau nach einem Gebäude, auf dessen Dach ein Stier und ein Widder kämpfen.«
»Kommst du etwa nicht mit?« rief ich entsetzt aus.
Sie lächelte plötzlich auf eine Weise, die es nur sehr schwer machte, sie nicht zu umarmen.
»Wie du sagtest, bin ich nur eine Imago. Ich kann nicht mit den Sacraportas reisen.«
»Werde ich dich wiedersehen?«
»Das entscheidest nur du allein. Ich werde da sein, wenn du hierherkommst.«
Ich streckte meinen Arm aus, um sie zu berühren, doch sie wandte sich um und verschwand geräuschlos in der Finsternis.
»Wenn in der Dunklen Stadt, schütze deine Gedanken«, hörte ich sie aus der Ferne sagen.
Schnell drehte ich mich um und starrte in das Licht der Sacraporta.
»Ich könnte jetzt im Englischen Garten sitzen, kiffen und dabei Aquaman oder die Gerechtigkeitsliga lesen«, brummte ich vor mich hin. »Statt dessen muss ich in jeden beschissenen Kanal klettern, den mir jemand aufmacht.«
Ich trat zögerlich durch das blaue Licht.
3.03 Amor fati
Ich hatte nicht erwartet, dass die Straßen von Thanatopolis in meiner Wirklichkeit schlammige Gossen waren. Aus irgendeinem Grund hatte ich mir hier alles steril und trocken vorgestellt. Ich vermute, mit der subjektiven Ausprägung des Jenseits ist es wie mit den Küchen in Restaurants. Wir möchten glauben, dass sie sauber und steril sind, dass die Köche sich nach dem letzten WC-Besuch die Hände gewaschen haben und dass in den Schränken keine Kakerlaken leben. Und tief in uns ahnen wir doch, dass die Welt in ihrer Gesamtheit anders aussehen würde, wann das wirklich wahr wäre. Den Engeln schien meine Vision des Jenseits gleichgültig zu sein, denn sie mussten den Boden nicht berühren. Sah man auf, konnte man sie in den Lücken zwischen den Hausdächern wie geheimnisvolle riesige Libellen auftauchen sehen. Der matschige, nasse Boden blieb den toten Menschen und ihren Imagos vorbehalten.
Ein Ort des Frohsinns war diese Stadt wirklich nicht. Im diesseitigen Zeitalter des Internets, der Soap-Opern und der Ecstasy-Pillen, war der Vorhof zum Reich Gottes wie eine kahle dreckige Festung in den Tagen der Völkerwanderung.
Zumindest für jemanden wie mich.
Hatte ich es denn wirklich so gut
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