In einem anderen Land
Man zog sich auf die Piave zurück. Ich erinnerte mich an die Piave. Die Eisenbahn kreuzte sie nahe bei San Dona, auf dem Wege an die Front. Sie floß tief und langsam dort und war ganz schmal. Weiter unten waren Moskitosümpfe und Kanäle. Es gab ein paar wunderschöne Villen dort. Einmal, vo r dem Krieg auf dem Weg nach Cortina d'Ampezzo, war ich mehrere Stunden lang in den Bergen an ihr entlanggewandert. Dort oben sah sie aus wie ein Forellenstrom, mit starkem Gefälle, flachen Strecken und Vertiefungen unter dem Schatten der Felsen. Sie verließ die Straße bei Cadore. Ich überlegte, wie die Armee, die dort oben war, herunterkommen würde. Der Mixer kam herein.
«Graf Greffi hat nach Ihnen gefragt», sagte er.
«Wer?»
«Graf Greffi. Sie erinnern sich doch an den alten Herrn, der hier war, als Sie voriges Mal hier waren.»
«Ist er hier?»
«Ja, er ist mit seiner Nichte hier. Ich habe ihm erzählt, daß Sie hier sind. Er möchte mit Ihnen Billard spielen.»
«Wo ist er?»
«Er geht spazieren.»
«Wie geht's ihm?»
«Besser denn je. Gestern abend hat er vor dem Essen drei Champagnercocktails getrunken.»
«Wie spielt er Billard?»
«Gut. Er hat mich geschlagen. Als ich ihm erzählte, daß Sie hier sind, war er sehr erfreut. Er hat hier niemand zum Spielen.»
Graf Greffi war 94 Jahre alt. Er war ein Zeitgenosse Metternichs gewesen und war ein alter Mann mit weißem Haar und Schnurrbart und wundervollen Manieren. Er war Diplomat sowohl in österreichischen wie in italienischen Diensten gewesen, und seine Geburtstagsgesellschaften waren das große gesellschaftliche Ereignis Mailands. Er lebte, um hundert Jahre alt zu werden. Sein sicheres und fließendes Billardspiel kontrastierte mit seiner vierundneunzigjährigen Zerbrechlichkeit. Ich hatte ihn kennengelernt, als ich früher einmal außerhalb der Saison in Stresa gewesen war, und während wir Billard spielten, tranken wir Champagner. Ich fand, dies war eine ausgezeichnete Gewohnheit, und er gab mir bei hundert Punkten fünfzehn vor und schlug mich.
«Warum haben Sie mir nicht erzählt, daß er hier ist?»
«Ich habe nicht daran gedacht.»
«Wer ist sonst noch hier?»
«Niemand, den Sie kennen. Es sind im ganzen nur sechs Leute.»
«Was machen Sie jetzt?»
«Nichts.»
«Kommen Sie ein bißchen angeln?»
«Ich kann für eine Stunde weg.»
«Los. Bringen Sie das Angelzeug mit.»
Der Mixer zog seinen Mantel an, und wir gingen hinaus. Wir gingen hinunter und nahmen ein Boot, und ich ruderte, während der Mixer im Heck saß und die Schnur, mit einem Spinner daran und einem schweren Bleigesenke am Ende, auslaufen ließ, um Seeforellen zu angeln. Wir ruderten am Ufer entlang, der Mixer hielt die Schnur in der Hand und schnellte sie gelegentlich vorwärts. Stresa sah vom See her sehr verlassen aus, die langen Reihen kahler Bäume, die großen Hotels und die geschlossenen Villen. Ich ruderte hinüber nach der Isola Bella und dicht an die Mauern, wo das Wasser sich jäh vertiefte und man die Wand des Felsens in dem klaren Wasser abfallen sah, und dann weiter bis an die Fischerinsel. Die Sonne war hinter einer Wolke, und das Wasser war dunkel und glatt und sehr kalt. Wir fingen nichts, obschon wir ein paar Kreise von aufsteigenden Fischen im Wasser sahen.
Ich ruderte gegenüber der Fischerinsel an Land, wo einige Boote hochgezogen lagen und ein paar Leute Netze flickten.
«Wollen wir was trinken?»
«Schön.»
Ich brachte das Boot an die steinerne Pier heran, und der Mixer zog die Leine ein, indem er sie auf dem Boden des Bootes aufwand und den Spinner an dem Rand des Dollbords festhakte. Ich stieg aus und machte das Boot fest. Wir gingen in ein kleines Café, saßen an einem kahlen, hölzernen Tisch und bestellten Wermut.
«Sind Sie müde vom Rudern?»
«Nein.»
«Ich werde zurückrudern», sagte er.
«Ich rudere gerne.»
«Vielleicht haben wir mehr Glück, wenn Sie die Schnur halten.»
«Schön.»
«Sagen Sie, wie geht's eigentlich mit dem Krieg?»
«Miserabel.»
«Ich brauche nicht an die Front. Ich bin zu alt, wie Graf Greffi.»
«Vielleicht müssen Sie auch noch mit.»
«Nächstes Jahr kommt mein Jahrgang dran. Aber ich geh nicht.»
«Was werden Sie tun?»
«Mich aus dem Staube machen. Ich geh nicht in den Krieg. Ich war mal in Abessinien im Krieg. Nix für mich. Warum machen Sie denn mit?»
«Ich weiß nicht. Ich war ein Esel.»
«Noch einen Wermut?»
«Schön.»
Der Mixer ruderte zurück. Wir fischten den See ab, nach jenseits
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