Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Rathbone in der Vere Street aufzutauchen, und er rechnete damit, abgewiesen zu werden. Wenn Rathbone ihn dennoch empfing, hatte er dies wahrscheinlich Hesters Anwesenheit zu verdanken. Sie wollte dabei sein, um nicht nur ihre eigenen Gedanken und Worte zu dem Gespräch beizutragen, sondern auch um ihrerseits zu versuchen, Rathbone zu überreden, falls Monk mit seiner Bitte scheitern sollte. Außerdem wäre es ihr feige erschienen, wenn sie Monk allein hätte fahren lassen.
    So standen sie nun im Vorzimmer zu Rathbones Kanzlei und erklärten dem Angestellten, dass sie nicht angemeldet, aber gute Bekannte von Sir Oliver seien und dass sie ihn in einer dringenden Angelegenheit sprechen müssten. Es war später Nachmittag und Sir Oliver war gerade mit seinem letzten Mandanten beschäftigt. Sie kamen zu einem günstigen Zeitpunkt.
    Etwa fünfzehn Minuten verstrichen. Es fiel Monk schwer stillzusitzen. Er sah Hester von der Seite an und konnte in ihrem Blick gleichzeitig Unbehagen und Entschlossenheit lesen. Cleo Andersens Leben war ihr erheblich mehr wert als diese kleine Unannehmlichkeit.
    Zwanzig Minuten nach fünf ging der Mandant, und Rathbone kam an die Tür. Er war überrascht, sie zu sehen. Sein Blick wanderte zu Hester, und Freude leuchtete in seinen Augen auf, dann überzog eine schwache Röte seine schmalen Wangen. Er zwang sich zu einem Lächeln, aber es lag nicht die gewohnte Heiterkeit darin. Er kam einen Schritt auf sie zu.
    »Hester! Wie schön, mich zu besuchen. Sie sehen ausgesprochen gut aus.«
    »Wir möchten uns für die Störung entschuldigen«, erwiderte Hester mit einem unsicheren Lächeln. »Aber wir sind mit einem Fall beschäftigt, der so kompliziert ist, dass wir nicht wissen, was wir unternehmen sollen, um ihn zu einem erfolgreichen Ende zu führen.«
    Rathbone wandte sich halb zu Monk um. Zum ersten Mal seit der Hochzeit trafen sich die Blicke der beiden Männer. Damals war Monk der Bräutigam gewesen, jetzt war er der Ehemann; die letzte Barriere war überwunden worden, es gab eine Intimität zwischen Hester und ihm, von der Rathbone für immer ausgeschlossen bleiben würde. Rathbones Augen wirkten in seinem blassen Gesicht dunkel. Jeden Gedanken, der Monk durch den Kopf gegangen war, konnte man in diesen Augen lesen. Rathbone streckte die Hand aus.
    Monk schüttelte sie und bemerkte, wie kräftig und kühl Rathbones Händedruck war.
    »Dann kommen Sie besser in mein Büro und erzählen es mir«, sagte Rathbone. Seine Stimme klang gelassen, und sein Benehmen war von ausgesuchter Höflichkeit. Wie viel Anstrengung, Stolz oder Würde es ihn kostete, diesen Eindruck zu erwecken, konnte Monk nur ahnen.
    Er und Hester folgten Rathbone in das ihnen vertraute Büro und nahmen auf zwei Stühlen Platz, die vor dem Schreibtisch standen. Die Sonne des späten Nachmittags schien durch das Fenster, zeichnete helle Muster auf den Boden und brachte die goldenen Lettern der Bücher in dem Mahagoniregal zum Glänzen.
    Rathbone lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Wie immer war er tadellos gekleidet, aber mit jener bewusst zurückhaltenden Eleganz und Lässigkeit eines Mannes, der weiß, dass er nichts beweisen muss.
    »Worum geht es bei diesem Fall?«, erkundigte er sich.
    Monk wollte als Erster antworten, damit das Gespräch nicht zu einem Dialog zwischen Hester und Rathbone wurde, bei dem Monk lediglich die Rolle des Zuschauers spielen würde.
    »Im North London Hospital – Hester unterstützt dort Lady Callandras Arbeit – hat eine Schwester mit Namen Cleo Anderson Medikamente gestohlen.« Es war nicht nötig, mehr zu erklären; Rathbone kannte und bewunderte Callandra. »Sie hat die Medikamente nicht für sich selbst genommen und auch nicht, um sie zu verkaufen, sondern um sie den Alten und Armen zu geben, die sie besucht und die diese Dinge dringend benötigen. Viele dieser Menschen liegen im Sterben.«
    »Löblich, aber illegal«, sagte Rathbone mit einem Stirnrunzeln. Sein Interesse war bereits geweckt, ebenso seine Besorgnis.
    »So ist es«, pflichtete Monk ihm bei. »Irgendwie hat ein Kutscher namens James Treadwell von den Diebstählen erfahren und die Schwester erpresst. Woher er sein Wissen hatte, ist unerheblich. Er kommt aus einer Gegend ganz in der Nähe, und wahrscheinlich hat er es von jemandem erfahren, der sie pflegte. Nun, wie auch immer, der Kutscher wurde erschlagen auf dem Gehweg vor ihrer Tür gefunden. Man hat sie wegen Mordes eingesperrt.«
    »Irgendwelche

Weitere Kostenlose Bücher