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In Furcht erwachen

In Furcht erwachen

Titel: In Furcht erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Cook
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war ihm zu übel, um bereits Reue zu verspüren.
    Was war das blasse, weißliche, würgende Ding? Sein
    Brustkorb. Er hob den Kopf etwas höher. Er war nackt. Er drehte den Kopf. Seine Kleider lagen in einem Haufen auf dem Fußboden. Tydon lag auf einer anderen Pritsche und
    schlief, zugedeckt von einer Art Leintuch.
    Grant ließ den Kopf zurücksinken. Er hatte so viele
    Dinge zu bedauern und so wenig Kraft dazu. Vielleicht
    konnte er schlafen?
    Jetzt hatte ihn die trockene Schlaflosigkeit im Griff, die den Säufer überkommt, und er wußte, er mußte der Rea-lität ins Gesicht blicken.
    Was war letzte Nacht noch mal mit diesen Lichtern ge‐
    wesen?
    Eine schreckliche Übelkeit überkam ihn. Was war
    letzte Nacht mit ihm geschehen? Etwas Entsetzliches, aber was?
    Er setzte sich schnell auf, verdrängte jeden Gedanken
    und jede Erinnerung. Und schon überschwemmte Schmerz
    sein Gehirn in Wogen, die ihn blind machten.

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    Egal. Mit solchen Kopfschmerzen konnte er nicht den‐
    ken. Aber er mußte raus hier. Raus, jetzt.
    Er schwang seine Beine von der Pritsche und stand auf.
    Er fühlte sich, als hätte man kleine, bleierne Gewichte an seine Eingeweide, seine Augen und die Enden seiner Nerven genäht. Gütiger Gott! Was für Kopfschmerzen!
    Langsam, aber ohne sich darum zu kümmern, ob er Ty‐
    don weckte, zog sich Grant an. Seine Kleider waren steif von Blut und stanken. Was war mit dem Känguruh geschehen, das verschwunden war, nachdem er es erschossen
    hatte? Dinge, an die er sich halbwegs erinnerte und vor de‐
    nen er sich schrecklich fürchtete, bedrängten ihn; rätselhaf‐
    tes Entsetzen trieb ihm Tränen in die Augen. Und dieses verfluchte, abscheuliche Licht letzte Nacht! Was war das gewesen? Was war geschehen?
    Vorsicht, Grant, Vorsicht, er wollte sich nicht wirklich erinnern.
    Als er seine Schuhe zuschnürte, erwachte Tydon.
    «Haust du ab?»
    «Ja.» Das Wort schien von weit her zu kommen.
    «Wohin?»
    «Sydney.» Der Gedanke formte sich in seinem Hirn, als
    er die Frage beantwortete.
    «Und wie?»
    Seine Kiefer schienen nicht richtig zu funktionieren,
    und er gab keine Antwort; er wußte es ohnehin nicht.
    Er brauchte Tydon nicht anzusehen, um zu wissen, daß
    dieser ihn anlächelte.
    «Willst du einen Schluck, bevor du gehst?»
    Grant schüttelte vorsichtig den Kopf.
    «Etwas zu essen?»
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    «Nein.»
    Er konnte nicht allzu klar sehen, und er brauchte lange, um seine Schuhbänder zu schnüren.
    Endlich stand er auf und schaute sich nach der Tür der Hütte um.
    «Vergiß das Gewehr nicht», sagte Tydon.
    Grant drehte sich um und blickte ihn verwirrt an. Sah
    Tydon nicht aus wie eine ausgemergelte Ratte, die ihr Gesicht unter dem Bettlaken hervorstreckte? Gütiger Gott, was
    hatte er letzte Nacht bloß verbrochen?
    «Welches Gewehr?»
    «Die Jungs haben dir das Gewehr geschenkt.» Tydon
    deutete mit dem Kinn auf das Gewehr, das neben Grants
    Füßen auf dem Boden lag.
    Grant bückte sich vorsichtig und griff danach.
    Tydon sagte etwas, aber Grant konnte es nicht verstehen und hörte auch gar nicht hin. Er ging zum Ausgang der Hütte, schloß die Augen, öffnete die Tür und trat ins grelle
    Licht des Tages hinaus.
    Vor der Hütte stand er mit geschlossenen Augen da, ließ die Tür hinter sich zufallen und wartete auf den ersten fiebrigen Angriff der Hitze, um sich in die windstille
    Druckwelle sinken zu lassen, die bis zum Einbruch der
    Dunkelheit nicht nachlassen würde.
    Er öffnete die Augen einen Spaltbreit und sah sich um, bis er wußte, in welcher Richtung die Stadt lag, dann fmg er an zu gehen, den Kopf verbissen gesenkt, ohne nachzudenken, das Gewehr mit einer Hand umklammert.
    Es war bloß eine halbe Meile bis zu den ersten Häusern, und es dauerte nicht so lange, wie Grant erwartet hatte. Er blickte sich kein einziges Mal nach Tydons Hütte um.

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    Er schleppte sich zwischen den Häusern die Straße hin‐
    unter, ohne sich darum zu kümmern, ob sich jemand an
    seinem Äußeren störte.
    Eine leichte Brise wehte, und der Staub der Abraumhal‐
    den neben den Minen wirbelte knietief die Straßen entlang wie eine tiefschwebende Wolke.
    Grants Gesicht war angespannt und trocken. In der
    Sonne des Westens scheint man niemals zu schwitzen; die Schweißperlen trocknen, noch während sie durch die Po-ren dringen.
    Der Staub verkrustete auf Grants Lippen. Sein Mund war
    nichts als ein trockener Spalt in seinem Kopf. Einmal dachte
    er beinahe an Robyn, aber sie existierte nicht mehr

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