In guten wie in toten Tagen
absurd der Gedanke war. Es würde kein gemeinsames Frühstück geben. Es würde auch keine Hochzeit mehr geben.
Tom war tot. Der Bräutigam ihrer Schwester. Erschossen, erstochen, erschlagen, ertränkt, erwürgt. Ermordet.
»Na dann. Guten Appetit«, sagte Eckert.
Als Cara und Helena wieder nach Hause kamen, war es kurz nach drei. Ihre Mutter saß in der Küche und starrte mit finsterer Miene auf die leeren Flaschen, die Cara vor dem Kühlschrank aufgereiht hatte. »Sag mal, spinnt ihr? Ihr verschwindet einfach und lasst das Chaos hier zurück? Wenn ihr glaubt, dass ich das wieder in Ordnung bringe, habt ihr euch aber geschnitten. Ich hab auf dem Weg nach Geldern vier Stunden im Stau gestanden, ich bin fix und fertig.«
»Mama«, sagte Cara. »Tom ist tot.«
»Was?« Frau Fliedner sah Helena an, erschrocken und skeptisch zugleich, als hoffte sie, dass das Ganze nur ein geschmackloser Scherz wäre.
Helena nickte. Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß, obwohl es draußen bedeckt und ziemlich kühl war.
»Du liebe Zeit«, sagte Frau Fliedner. »Du meine Güte. Wie ist das denn passiert?«
»Ich weiß es nicht.« Helena begann zu weinen. »Ich habe keine Ahnung. Er ist ermordet worden. Jemand hat ihn umgebracht. Meinen Tom, meinen liebsten Tom.«
Ihre Mutter erhob sich wankend. »Helena, mein Liebling. Das ist ja furchtbar. Wer hat … ich meine … wie ist er denn …?«
»Keine Ahnung«, sagte Cara. »Sie haben ihn heute früh in seiner Wohnung gefunden. Mehr haben sie uns nicht verraten.«
Helena schluchzte laut auf. »Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Und mein Kopf tut so weh.«
»Du musst dich hinlegen.« Frau Fliedner legte ihren Arm um ihre Tochter. »Ich bring dich nach oben, Helena.«
»Kaffee«, murmelte Cara, während ihre Mutter Helena in ihr Zimmer begleitete. »Ich brauch erst mal einen Kaffee.« Sie schaltete die Maschine an, legte ein Kaffeepad ein und stellte ihre Tasse darunter. Dabei fiel ihr Blick auf den Herd, auf dem immer noch der Topf mit der Suppe vom Vortag stand. Auf der Oberfläche hatte sich ein schmierig-weißer Fettfilm gebildet. Darunter schwamm etwas. Kaltes, totes Fleisch, dachte Cara, und dann wurde ihr schlecht und sie schaffte es gerade noch aufs Klo.
»Wir müssen alles absagen«, flüsterte Frau Fliedner, als sie zurück in die Küche kam. »Die Hochzeit, das Essen. Wir müssen den Gästen Bescheid geben. Die Hotelzimmer müssen abbestellt werden. Onkel Werner hat extra für die Hochzeit seinen Urlaub verschoben …«
»Das ist doch jetzt nicht wichtig!«, fuhr Cara sie an.
Ihre Mutter fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Nein«, sagte sie. »Natürlich nicht. Das ist alles total unwichtig. Die arme Helena. Der arme Tom.« Dann hob sie den Kopf und sah Cara an.
»Ermordet. Ist das sicher? Tom wurde ermordet?«
»Sonst hätten sie Helena und mich ja wohl nicht auf die Polizeiwache geschleppt.«
»Aber die denken doch nicht etwa, die glauben doch wohl nicht, dass Helena … oder du …?« Frau Fliedner schüttelte den Kopf. »So was macht Helena doch nicht. Das ist ja lächerlich.«
Cara schwieg. Natürlich war Helena keine Mörderin. Das wusste ihre Mutter und das wusste auch Cara. Aber die Polizei nicht. Die Polizei wusste nur, dass Helena in der vergangenen Nacht betrunken war und sich nicht mehr erinnern konnte, was sie gemacht hatte. Wo sie gewesen war. Und dass sie vermutlich nicht sehr gut auf Tom zu sprechen gewesen war, weil sie kurz vorher erfahren hatte, dass er mit May geschlafen hatte.
»Was überlegst du, Cara?«, fragte ihre Mutter. »Meinst du etwa auch …?«
»Nein«, sagte Cara. »Sie hat ihn nicht umgebracht.«
»Natürlich nicht«, sagte ihre Mutter und kramte ihr Handy aus der Tasche. »Ich muss euren Vater anrufen.«
»Warum das denn?«, fragte Cara scharf. »Was hat der mit der Sache zu tun?«
Ihre Mutter sah sie verständnislos an. »Helena ist seine Tochter. Ich muss ihm doch sagen, was passiert ist. Außerdem brauchen wir einen Anwalt.«
»Dazu brauchen wir Papa doch nicht. Einen Anwalt finden wir auch ohne ihn.«
»Ach ja? Und wie? Aus den Gelben Seiten? Im Internet? Ich kenn mich doch überhaupt nicht aus.«
»Immer wenn es Probleme gibt, rennst du zu Papa «, sagte Cara. »Hast du eigentlich vergessen, wie er dich behandelt hat? Wie er uns behandelt hat?«
Ihre Mutter hob warnend eine Hand, ohne sie dabei anzusehen. »Hör auf, Cara. Nicht die alte Leier. Ich hab jetzt keine Kraft dazu.«
»Mama. Papa hat
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