In Hadam wartet der Henker
Bewußtsein, an der Schwelle des Todes zu stehen, waren schuld an der langen Zeitspanne, die in Luxons Verstand fehlte. Als er blinzelnd die Augen öffnete und den modrigen Geruch eines feuchten Kerkers einatmete, glaubte er, noch immer in der furchtbaren Folter seiner Alpträume eingeschlossen zu sein.
Das bärtige Gesicht, das sich über ihn beugte, kannte er! Er hatte es sofort erkannt und sich entschlossen, es als Spuk oder Wahn abzutun. Es war der Rebell Hodjaf, der Gefährte der langen Reise bis nach Deneba.
Der Alptraum hatte eine Stimme. Hodjafs Stimme. Sie redete mit Luxon und sagte aufmunternd:
»Ich bin es, Luxon! Ich, Hodjaf!
Du bist im Kerker Hadamurs. Ich habe mich freiwillig gefangennehmen lassen, um bei dir zu sein. Draußen, in Hadam, wimmelt es von unseren Leuten. Sie werden uns beide retten, ehe das Richtbeil Hadamurs heruntersaust. Hab’ keine Angst.«
Luxon drehte den Kopf zur Seite. Ein grausamer Traum narrte ihn, denn es gab keine Rettung. Etwas in ihm, das ständig wuchs und größer wurde, sagte ihm beharrlich, daß er in Fesseln träumte und nur erwachte, um zu sterben. Noch schlief er.
Aber die Stimme dieses Traumes fuhr fort:
»Wir beide sollen nacheinander hingerichtet werden, auf dem Richtplatz, vor dem neuen Palast. Keine Sorge. Du mußt nur im rechten Moment tun, was ich dir sage… aber dir muß ich das nicht erklären!«
Luxon wollte nicht weiterträumen. Er wandte sich gegen diesen Traum und die Vorschläge, die Hodjaf machte. In seinem Verstand hatte sich die Überzeugung eingenistet, daß dieser Traum niemals ein gutes Ende haben konnte. Ein Wall war vor seinen Gedanken. Ein Abgrund trennte ihn davon, aus diesem Traum zu erwachen und neue Hoffnung schöpfen zu können.
Irgendwann hörte die Traumgestalt des Hodjaf zu sprechen auf.
*
Der Abgesandte des Königs Andraiuk wandte den Kopf hin und her. Das Bild, das sich ihm bot, war mehr, als er je in seinem Leben sich hatte vorstellen können. Ein riesiger Platz voller Menschen, voller Farben und Gerüche, voll von Lärm und Frohsinn. Aus der Menge ragten die Helme und Lanzen vieler Soldaten.
Jeder auf diesem Platz war voller Erwartung.
»Die Menge… es gefällt dir?« fragte Shallad Hadamur von seinem Thronsessel aus. Der Gesandte verneigte sich tief und erwiderte:
»Würde Andraiuk dieses Bild sehen, würde er sein Land Ay verlassen und in die kleinste Hütte eines Kärrners in deiner Stadt ziehen wollen, o Shallad.«
»Dumme Schmeicheleien!« tat es der Shallad ab. Er wußte, daß Yavus wegen der Gerüchte um Luxon hier war. »Meine Tochter wird deinen Prinzen glücklich machen.«
»Da Andraiuk dies weiß, ließ er mich prunkvolle Geschenke für dich mitnehmen!« erklärte der Gesandte vorsichtig. Manche nannten ihn Ya vus den Weisen. »Du hast eine herrliche Stadt erbaut, Shallad Hadamur!«
»Mit einem herrlichen Palast und einem ebensolchen Totentempel. Vielleicht weihe ich ihn einem Rachedämon!« sagte Hadamur und ließ sich, von der Anstrengung so langer Sätze erschöpft, in die schweißfeuchten Polster zurücksinken.
Yavus war ein Gast, der mit Vorsicht zu behandeln war. Weit im Osten des Südkontinents lag das Land Ay. Dort waren die Orhako-Reiter mit dem Schwertmondzeichen eingedrungen, um die Grenzen des Shalladad auszuweiten. Heldenhaft hatte sich Andraiuk diesen Kriegern entgegengeworfen. Aber dann hatte das Blutvergießen einen Grad erreicht, der an der Weisheit des wehrhaften Königs zweifeln machte. Andraiuk begann zu verhandeln. Aber er verlangte zum Zeichen des immerwährenden Friedens die Hand einer Prinzessin, also nichts anderes als eine Verbindung mit dem verkörperten Lichtboten. Der König verlangte die Prinzessin nicht für sich, denn er war ein alter Mann, sondern für seinen Sohn Iugon.
Yavus zupfte an seinem langen weißen Vollbart und sagte:
»Dieses Schauspiel, man sagte es mir, dient der Überzeugung der Ungläubigen!«
»So ist es. Luxon ist nichts als ein Betrüger. Allerdings einer, dessen Ergreifung viel Kampf, viel Klugheit und viel Geduld erforderte.«
»Aber nun schmachtet er in deinem Kerker, Shallad.«
»Nicht mehr lange«, erwiderte Hadamur und lachte keuchend auf. Augenblicklich umringte ihn ein Schwarm Sklavinnen, deren Körper im Sonnenlicht glänzten, um die Wette mit dem Geschmeide, das sie trugen. Der Gesandte in seiner prunkvollen Kleidung war ein würdiger Gast für dieses Fest. Sein weißer Turban beschattete ein knochiges, langes Gesicht und eine
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