In Nomine Mortis
immer über diesen Märkten.«
»Wo findet man eine
solche Pracht?«, fragte ich. »In Avignon«, antwortete
der Inquisitor. »Ihr wart am Hof des Heiligen Vaters?«, rief
ich erstaunt aus. Meister Philippe machte eine beschwichtigende Geste,
denn mehrere Männer und Marktweiber hatten sich zu uns umgedreht und
uns missbilligende Blicke zugeworfen.
»Oh ja, ich habe Seiner
Heiligkeit gedient«, flüsterte Meister Philippe. »Ich bin
in einem kleinen Dorf bei Salon geboren, in der Provence, kaum einen
Tagesritt entfernt von Avignon. Dort bin ich auch, nach einem Traum, den
ich dir nicht erzählen mag, dem Orden des heiligen Dominicus
beigetreten. Ein Doktor der Theologie bin ich, ganz wie du einer werden möchtest,
wie mir der Prior berichtet hat — und ich diente dem Papst als einer
seiner Schreiber. Manche Bulle, manches Breve und so manches
Sendschreiben, das kaum je ein Gläubiger mit eigenen Augen gelesen
hat, ist von meiner Hand geschrieben worden.«
Schweigend und tief in
Gedanken versunken schritt er eine Zeitlang kräftiger aus, bis wir
den Markt passiert hatten. »Von meiner Hand geschrieben, das ja«,
hub er schließlich wieder an, »doch nicht von meinem Geist
erdacht. Ich las die Texte, welche ich in das sperrige Latein der päpstlichen
Kanzlei gießen musste. Ich sah die Schätze, die von den Märkten
in die Paläste der Kardinäle und, ja, zuvorderst in den Palast
des Heiligen Vaters gebracht wurden. Und ich sah noch ganz andere Dinge.«
Wieder schritt er eine Zeitlang schweigend aus.
Wir verließen den Markt
und mussten innehalten, denn eine Prozession querte die Rue Saint-Jacques:
ein Priester in schäbigem Gewand, der ein schlichtes Holzkreuz
hochhielt, gefolgt von ein paar älteren Frauen und missmutig
dreinblickenden Kindern in einfacher Tracht. Nur wenige Kerzen leuchteten,
schwach klang das Te DEUM Laudamus aus ihren Kehlen, bis es verwehte, als sie in einer winzigen Kirche
verschwanden, deren Namen ich nicht kannte. »Ja, lobet den Herrn«,
murmelte Meister Philippe und segnete die Singenden. »Euer Glaube
ist schlicht und unverfälscht — und das soll so bleiben.«
Er wandte sich mir zu.
»Es steht geschrieben, dass der Diener des HERRN den Weinstock schützen
muss, selbst wenn er dazu der Flammen bedarf.«
»Ego sum vitis vos
palmites qui manet in me et ego in eo hic fert fructum multum quia sine me
nihilpotestis facere si quis in me non manserit mittetur foras sicutpalmes
et aruit et colligent eos et in ignem mittunt et ardent«, antwortete ich.
»Ich war des Prunks am
Hof des Heiligen Vaters überdrüssig und, mehr noch, der leeren
Worte seiner Schreiben«, murmelte Meister Philippe und nickte.
Ich staunte über seine
Ehrlichkeit. Wäre er nicht selbst Inquisitor gewesen - so ein Satz hätte
ihn vor den Richterstuhl der Glaubenswächter bringen können!
Deshalb antwortete ich nicht und blickte nur demütig zu Boden, während
ich an seiner Seite weiterschritt. »Je länger ich in Avignon
diente, desto stärker fühlte ich, dass dies nicht meine Berufung
war«, fuhr Meister Philippe fort. »Ich wollte den Weinstock
des HERRN hegen und pflegen, wie es die guten Winzer tun, die an den Hängen
der Rhone ihren blutroten Wein keltern. Also bat ich darum, Inquisitor zu
werden. Meine Oberen erfüllten mir diesen Wunsch nur zu gerne, denn
sie spürten meinen Eifer wohl. Also ging ich los in die Pyrenäen,
um in einsamen Bergdörfern und halb vergessenen Burgen Katharer
aufzuspüren, die letzten jener ketzerischen Brut, die einst den
ganzen Süden Frankreichs mit ihrer Irrlehre verpestete. Ich stellte
ihnen nach, bis ich niemanden mehr fand, der Arges im Schilde führte.
Die Bischöfe der Diözesen, in denen ich wirkte, lobten mein Tun.
Den Ketzern hingegen galt mein Name nur zu bald als Inbegriff des Zornes
des HERRN und die meisten gestanden, ohne dass ich sie in jene finsteren
Kammern zu entsenden hatte, in denen die Folterknechte mit glühenden
Zangen und straffen Stricken die Wahrheit ans Licht zerren.
Als die Katharer nicht mehr
waren, da wurde ich nach Paris geschickt. Hier half ich mit, den
heuchlerischen Orden der Templer von der Brust der Mutter Kirche zu reißen.
Hier wache ich seither über finstere Wanderprediger, die im eigenen
Auftrag gotteslästerliche Lehren verkünden, und über allzu
vorwitzige Studenten, die Fragen zu stellen wagen, die sich nicht
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