In Nomine Mortis
liegenden
Schiffe im Hafen lichterloh brannten. War dort ein Blitz eingeschlagen?
Waren die Flammen des Scheiterhaufens übergesprungen, getragen von
einer Windböe? Was tat das nun noch zur Sache? Auf der Seine
jedenfalls stand eine riesige Wand aus Flammen und Rauch, da Schiffe, Kähne,
Kais und abgestellte Fässer und Ballen loderten. Die nackten Tänzer
hatten sich am Ufer versammelt und schrieen und sangen, die Vaganten
spielten fröhliche Weisen dazu. Niemand versuchte, den Brand zu löschen.
Umringt von Feuer lag die
»Kreuz der Trave« im Wasser. Ich sah Gestalten dort an Deck.
Eine, so schien mir, hatte langes blondes Haar, halb verborgen unter einer
dunklen Kappe. Dieser Mensch allein rührte sich nicht, sondern stand
am Mast wie eine Statue. Die anderen an Bord rannten hierhin und dorthin
wie Ameisen, denen ein Riese den Bau zertreten hat. Die Leinen waren gelöst
worden. Das Segel hing halb aufgezogen und schief am Mast, doch hatte der
Wind trotzdem das Tuch gebläht und trieb die Kogge langsam voran.
»Haltet ein!«, schrie ich. »In GOTTES Namen, haltet ein!«
Doch wie laut ich auch rief, meine Stimme verklang im rollenden Donner, im
Krachen des brennenden Holzes, in den Hohngesängen und lauten Weisen
der irre gewordenen Tänzer und Musiker. So glitt die »Kreuz der
Trave« — halb segelnd, halb in der Strömung treibend
— in eine riesige Flammenwand hinein, die fast den ganzen Fluss
versperrte, bis der Segler meinen Blicken entschwand. Lea und ich blieben
auf dem Grand Pont stehen und sahen dem Geisterschiff nach, bis wir vor
Rauch und Flammen zurückweichen mussten.
Nie werde ich wissen, ob die
Kogge den Schatz der Templer an Bord trug oder nicht. Nie werde ich
wissen, ob sie all die gestohlenen Werke der Geografie an Bord trug oder
nicht. Nie werde ich wissen, ob Klara Helmstede wirklich an Bord war oder
ich nur einer Einbildung aufgesessen war. Ja, ich weiß bis heute
nicht einmal, ob die »Kreuz der Trave« in jener Flammenwand
wahrhaftig verbrannt ist — oder ob sie nicht doch heil
hindurchgesegelt ist.
Ich bete seither jeden Tag,
dass die Kogge das Gold der Templer, das Wissen der Alten und meine
ehemalige Geliebte in Sicherheit gebracht hat. Hin zu jenem
geheimnisvollen Ort jenseits des Ozeans, von dem nun allein Lea und ich im
Abendland noch wissen, dass er einst terra perioeci genannt worden ist.
18
DER KARTOGRAF AM ENDE DER
WELT
Noch am selbigen Tage flohen
Lea und ich aus der Stadt Paris, die uns das neue Babylon zu sein dünkte.
Alle Mönche im Kloster Saint-Jacques waren, so weit ich weiß,
der Seuche erlegen. So gab es dort niemanden mehr, der die Totenbücher
führen konnte - und deshalb galt auch ich als verschieden.
Leas Vater war tot. Sie hatte
in Frankreich keine näheren Verwandten mehr, niemand hatte sie mehr
erblickt, seit die Inquisitoren und Sergeanten ihr Haus geplündert
hatten. Auch sie galt aller Welt deshalb als Opfer der Seuche.
So gab es keinen Menschen auf
dem Erdenrund, der sich an uns erinnerte, und keiner vermisste uns.
GOTT in seinem unermesslichen
Ratschluss gefiel es jedoch, uns das Leben zu schenken. Wir, die wir Sünder
waren, erkrankten all die schrecklichen Tage lang nicht, obwohl doch Bischöfe
und Herzöge vor dem Schwarzen Tod fielen.
Wir wählten kleine Wege,
abseits der großen Straßen, vorbei an der verfallenen Abtei
Saint-Germain-des-Pres. Auf den Feldern stand das Getreide hüfthoch
und manchmal sahen wir einen Bauern, der, mit der Sense in der Hand, bei
der Feldarbeit gestorben war. Tag und Nacht heulten Wölfe gar
schauderhaft. Doch auch vor ihnen schützte ER uns. Waren wir hungrig,
so fanden wir stets ein verlassenes Haus, in dem wir Brot, Bohnen oder
Zwiebeln entdeckten. Waren wir durstig, so gelangten wir stets an einen
Brunnen oder Fluss, der uns klares Wasser bot.
Spiritus ubi vult spirat
et vocem eius audis sed non scis unde veniat et quo vadat sie est omnis
qui natus est ex Spiritu.
Schließlich gelangten
wir nach vielen Wochen des Reisens bis ins Land Spanien und dort bis zur Küste
des Atlantischen Ozeans, zur Hafenstadt Palos.
Irgendwann entließ die
Pest die Christenheit aus ihrem Würgegriff. So war dies denn doch
nicht das Ende der Welt, das wir alle heraufdämmern zu sehen
glaubten. Doch wohl jeder zweite Mensch war dahingegangen und es herrschte
eine schreckliche Leere in den Städten der
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