In Santiago sehen wir uns wieder
werdet immer weiter gehen. Ich wünsche euch: >Buen camino<.«
Anschließend lädt er uns alle zu einer Suppe mit Tomaten, Brot und viel Knoblauch ein. Eigenhändig schöpft er sie in die blechernen Tassen. Wir sitzen fröhlich an langen Tischen, reden und singen, fühlen uns wohl und einander verbunden. In der Bar geht es weiter; bei reichlich Wein wird geschunkelt - ein Flame hat deutsche Lieder mitgebracht.
San Juan de Ortega – Burgos
Donnerstag, 3. Juli
Über stille weite Höhen geht es langsam den Berg hinab und dann - Burgos, das erste große Etappenziel ist erreicht. Die Stadt rüstet sich für die Fiesta San Pedro, sie ist voll von Menschen, Buden, Clowns und Artisten.
Die Kathedrale. Gereinigt vom Staub der Jahrhunderte, sieht sie von außen aus wie mit Puderzucker überzogen. Im Innern wird sie gerade restauriert. Ich sitze in der Vierung. In meinem Rücken ragt der Hochaltar als Farbreproduktion in die Gewölbe hinauf. Vor mir ist der Bogen zum Mittelschiff mit einer Plastikplane zugehängt. Ihre Riesenfalten blähen sich unendlich langsam auf. Farbiges Licht von blauviolett nach grüngelb schimmert auf ihrem Schwarz. Hinter der Plane, im Gewölbe des Mittelschiffs, hämmern die Maurer wie Spechte in unterschiedlichen Tonhöhen und Rhythmen. Ihr Klickklack, die gregorianischen Gesänge im Chorumgang, das Reden, Wispern und Schlurfen der Leute - all dies verbindet sich mit dem ohrenbetäubenden Lärm der Lautsprecher, die gerade auf dem Platz vor der Kirche ausprobiert werden.
Es entsteht ein gigantisches Dröhnen - die Kathedrale bebt, ich bebe. Doch über mir thront, vom Getöse unbeeindruckt, die Kuppel mit ihrem lichtdurchbrochenen Zierrat wie eine machtvolle Mitra.
Burgos –Tardajos
Freitag, 4. Juli
Es ist eiskalt, als ich mich auf den Weg zum Kartäuserkloster von Miraflores aufmache - meine warme Vliesjacke habe ich nach Deutschland geschickt! Um 9 Uhr beginnt die Messe der Mönche. Wenige Menschen sind da, es ist still, der Priester zelebriert schlicht mit singender Stimme. Als ich die Hostie nehme, ist mir, als gerönne das liturgische Geschehen zu einem fernen Bild. Ich bin erstaunt.
Mit dem Bus fahre ich in den Trubel der Stadt. Geld abheben, E-Mails anschauen - Grüße aus Deutschland, Grüße nach Deutschland -, fünf Wochen bin ich von zu Hause weg, drei Wochen auf Schusters Rappen unterwegs. Ein neues Waschmittel für Haare, Körper und Wäsche - >Nivea for Men< fällt mir in die Hände, ab jetzt riecht alles nach Minze und wird blau. Gegen Mittag treffe ich im Park um die Herberge ein. Was ist los? Ich kann mich nicht von dem Ort trennen. Unter einem Baum beim Waschplatz ruhe ich mich aus, ich höre die neu Ankommenden reden. Ich muss gehen,
die Nächsten rücken nach, ich gehöre schon nicht mehr dazu. In der Cafeteria der Universität esse ich - es ist sonnig und warm. Eine Spanierin unterhält sich mit mir in kaum verständlichem Englisch, Kinder turnen um uns herum, der Nachmittag ist weit vorgerückt - es ist Zeit zu gehen. Dann stiefele ich zum Tor hinaus, verlasse wieder ein Stück Heimat. Auch das ist Pilgerschaft, jeden Tag erneut Abschied nehmen, weiterziehen, allein sein.
Der gelbe Pfeil. Wie ein geheimes Zeichen geht er vor mir her. Er wartet an einem Baum, auf einer Mauer, im Rinnstein oder auf dem Gehweg. Er führt über Zebrastreifen, Kreuzungen, unter Brücken hindurch, über Brücken hinweg. Er ruft und lockt und zieht. Ich schultere meinen Rucksack und gehe aus Burgos hinaus. Ich weiß nicht, was geschieht, plötzlich fange ich an zu weinen. Ich weine, weil es mein Weg ist, aufzubrechen und weiterzugehen. Auf der Wanderschaft sein, zum fahrenden Volk gehören. Mein Rucksack ist meine Villa, meine Isomatte mein Gehege. Ich trage nicht mehr mit mir, als ich brauche, und das ist wenig und doch zum Tragen schwer. Ich weine, ein kleiner Tropfen in dem mächtigen Strom des Pilgerwegs, ein einsamer Stern auf der gemeinsamen Milchstraße. Buen Camino, Bella, buen Camino, Theresa, Laurence, Oliver, Fernanda... vielleicht sehen wir uns wieder, vielleicht auch nicht. Dann weichen sie zurück, die Vororthäuser, die Fabriken, die großen Straßenkreuzungen. Und sie sind wieder da, die Gefährten meiner Reise: der Weg mit seinen Steinen, die Fußspitzen, die in ihn eindringen und nach hinten schieben - eins rechts, eins links; die Schmetterlinge, die zirpenden Heimchen und singenden Grillen; Vogelgezwitscher und das Tuckern eines Motors von ferne; am
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