In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Tränen würden ihre Triebe nimmer zum Versiegen bringen. Und ihr üblicher Satz: »Liebster, tut mir, was ich so gern mag«, er klingt mir noch heute in den Ohren, süß, drängend, melodisch, und sooft ich mich seiner erinnere nach all den Jahren, berührt er mich stets aufs neue.
Nachdem ich mich diesen Wonnen entrissen, warf ich mich in die Kutsche und ließ mich, bevor ich mein Logis anstrebte, zur Kirche Saint-Firmin fahren. Ich wollte freilich nicht, daß das Gefährt mit dem Wappen des Vicomte vor dem Nadelhaus hielt, sondern stieg auf der anderen Seite des Gotteshauses aus und querte auf Sammetpfoten das Schiff, um die Seitenpforte zu erreichen. Aber ich platzte mitten in die Abendmesse hinein, und obwohl die Papisten ganz in ihre Andacht vertieft schienen, erspähten mich einige dieser Heuchler, erkannten mich, wisperten und starrten mich voller Haß an, daß ich tot umgefallen wäre, wenn Blicke morden könnten.
Von der Thomassine konnte ich mich nicht in der gewünschten Weise verabschieden. Bei ihr saß Cossolat zu Tisch und schaute mürrisch drein, als er mich sah.
»Geht Ihr fort aus der Stadt?« fragte er unvermittelt.
»Morgen in aller Frühe, mit Samson und Miroul.«
»Recht so«, sagte er ungerührt. »Setzt eine Maske auf, rüstet Euch kriegsmäßig mit Brustpanzer und Helm. Daheim werdet Ihr drei Passierscheine finden und ein Schreiben von mir an Hauptmann Bouillargues in Nîmes. Er ist einer der Unseren, soweit ich Euch gegenüber von den Unseren sprechen kann, nachdem Ihr Monsieur de Gasc so brüskiert habt.«
»Ich hab ihn nicht brüskiert«, wehrte ich ab. »Ich wollte ihm nur nicht beichten.«
»Wie dem auch sei (Cossolat starrte auf den Grund seines Bechers), nach Eurer letzten Heldentat mag Monsieur de Gasc Euch nicht mehr leiden. Und ich ebensowenig.«
»Das bekümmert mich sehr, Monsieur«, sagte ich mit einer kleinen Verbeugung und machte auf dem Absatz kehrt, betroffen von diesen harten Worten. Denn Cossolat hatte mir auf seine Art stets irgendwie Freundschaft bezeigt.
Die Thomassine holte mich im Vorzimmer ein, warf sich in meine Arme und flüsterte mir ins Ohr:
»Ich, mein Pierre, ich liebe dich, was immer du getan haben magst, und werde stets deine Freundin bleiben.«
Doch ich hatte kaum Zeit, ihre Küsse zu erwidern. Cossolat rief nach ihr, sehr ungehalten. Ha! war mein Gedanke, als ich um die Kirche herumging (ich mochte mich nicht ein zweites Mal den Blicken der Heuchler aussetzen), Cossolat spricht hier als Gebieter! Wie in den
Drei Königen
und andernorts, weiß der Himmel wo überall! Gleichwohl ist Monsieur de Gasc ihm gewogen, fürchtet nicht, daß »der Teufel ihn zu seiner Beute macht«, trotz seines »täglichen Wandels«, würde ihm vielleicht gar eine Partie Tricktrack durchgehen lassen: er tut ja so viele gute Dienste!
Diesen bitteren Gedanken nachhängend, wenig zufrieden mit den Menschen und der Welt, warf ich mich in die Kutsche und überlegte, ob ich mich von meinem Studienvater Saporta verabschieden sollte. Seiner sakrosankten Regel gemäß müßte ich dies freilich
schriftlich
beantragen, hierauf er mir binnen acht Tagen
schriftlichen
Bescheid gäbe. Also verzichtete ich darauf, ihn mit meinem Besuch zu überfallen – ich hätte mir damit nur Rüffel eingehandelt, deren mir dieser Tag schon zu viele beschert hatte.
Einen indes bekam ich doch noch. Ich fand einen Brief von meinem Vater vor, die Erwiderung auf meinen Bericht, darinich lückenlos, selbst den Beischlaf mit der Mangane nicht unterschlagend, die Grabschändung auf dem Friedhof Saint-Denis gebeichtet hatte, welche Unternehmung mein Vater
atrocissima
nannte. Den Brief zeigte ich Samson nicht, sowenig wie ich ihm den Grund unserer Reise nach Nîmes verriet: ich tat geheimnisvoll, befahl ihm nur, sein Gepäck zu schnüren, dann Miroul beim Striegeln der Pferde zu helfen und für den kommenden Morgen sich bereitzuhalten.
Beim abendlichen Mahl gab Dame Rachel mir mit Freude zu erkennen, wie sehr mein Fortgang ihr behagte. Anschließend sprach ich Meister Sanche unter vier Augen. Ohne in mich zu dringen, ohne ein bitteres oder vorwurfsvolles Wort umarmte mich der hochrühmliche Meister, rieb seinen grauen Bart an meiner Wange, sah mich dann an und sprach:
»Wohlan, mein guter Neffe, geht in Frieden! Und kehret alsbald wieder zurück, denn Ihr werdet meinem Hause fehlen, und mehr noch Euer Bruder, der meiner Offizin so gute Dienste tut und meinen Kunden höchst sehr gefällt in seiner
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