Insel der Rebellen
besucht und ihre Prüfung bestanden haben. Das dauert mindestens ein Jahr, vorausgesetzt natürlich, Sie werden aufgenommen.«
»Die müssen mich aufnehmen.«
»Nur weil Ihr Vater Gouverneur ist, stehen Ihnen nicht alle Türen automatisch offen«, gab Andy in scharfem Tonfall zurück.
»Und ich werde niemandem sagen, wer Sie sind, außer dass Sie eine Praktikantin sind, die mich begleitet.«
»Dann sag ich's ihnen halt«, konterte sie, während sie das Fenster öffnete und ihren Kaugummi ausspuckte.
»Das wäre nicht sehr klug. Sollten die Menschen Sie nicht endlich einmal um Ihrer selbst willen mögen und nicht wegen Ihres Vaters? Und werfen Sie bitte nichts aus dem Fenster.«
»Und was, wenn sie mich nicht mögen?« Reginas Mut sank.
»Sie wissen genau, dass es so sein wird. Niemand hat mich je gemocht, selbst wenn die Leute wussten, wer Papa ist. Warum sollten sie mich mögen, wenn sie nicht wissen, wer er ist?«
»Ich denke, Sie sollten einfach abwarten, was passiert, und sich endlich der Wahrheit stellen«, antwortete Andy, als sie von der Clay Street abbogen. »Wenn die Menschen Sie tatsächlich nicht mögen, liegt es allein an Ihnen.«
»So 'n Scheiß. Gar nichts liegt an mir.« Reginas Stimme wurde laut und schneidend. »Ich kann nichts dafür, wie ich geboren wurde.«
»Es ist Ihre Entscheidung, unfreundlich und egoistisch zu sein«, sagte Andy. »Und meine Ohren funktionierten ganz hervorragend - bis jetzt jedenfalls. Also mäßigen Sie gefälligst Ihren Tonfall. Vielleicht können Sie ja mal ausnahmsweise an andere denken und nicht an sich selbst. Was ist mit dem armen Menschen, der in den Kaugummi tritt, den Sie gerade hinausgeworfen haben? Wie fänden Sie es denn, wenn Sie auf dem Weg zur Arbeit in einen Kaugummi träten, ihre beste Kleidung trügen und sich keine neuen Schuhe leisten könnten, weil Sie ein krankes Kind zu Hause haben?«
Darüber hatte Regina noch nie nachgedacht.
»Die anderen können Sie nicht leiden, weil Sie keinen Menschen leiden können, das ist der einzige Grund. Die Leute merken das«, fuhr Andy fort, als er hinter einem modernen Backsteinbau einbog, auf dem Biotech II stand und der das Büro des Gerichtsmediziners und die dazugehörigen Labors beherbergte.
»Ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll«, gestand Regina.
»Wie soll man es wissen, wenn es einem niemand je gezeigt hat? Mein Leben lang haben mich die Leut e behandelt wie ein rohes Ei, weil mein Vater Gouverneur ist. Ich hatte keine Chance, an andere zu denken.«
»Nun, jetzt haben Sie Ihre Chance.« Andy parkte auf einem der Besucherplätze und stieg aus dem Auto. »Denn ich werde Sie wie Dreck behandeln, wenn Sie mich wie Dreck behandeln. Vielleicht ist das Leichenschauhaus ein guter Anfang. Hier können Sie üben, nett zu den Toten zu sein, und denen ist es egal, wenn es Ihnen nicht gelingt.«
»Das ist eine großartige Idee!« Sie folgte Andy voller Begeisterung auf dem Gehweg in die Eingangshalle. »Allerdings, wie soll ich auf die Gefühle von jemandem Rücksicht nehmen, der keine mehr hat?«
»Man nennt es Mitgefühl, Mitleid mit jemandem haben. Das sind wahrscheinlich Fremdwörter für Sie.« Andy blieb am Informationsschalter stehen und trug sich ein. »Versuchen Sie, sich vorzustellen, was diese armen Menschen hier unten durchgemacht haben und wie traurig ihre Freunde und Angehörigen sind, und kümmern Sie sich ein einziges Mal nicht um sich selbst. Falls Sie sich daneben benehmen, ist es das Ende Ihres Praktikums. Dann ärgere ich mich nicht weiter mit Ihnen herum und Superintendent Hammer genauso wenig. Bevor Sie bis drei zählen können, hat sie Ihren Arsch vor die Tür gesetzt.«
»Dann schmeißt Papa sie raus«, behauptete Regina.
»Die verspeist Ihren Papa zum Frühstück«, sagte Andy.
Als sich die elektronischen Türen öffneten und sie das Büro der Leitenden Rechtsmedizinerin betraten, gab er Regina ein kleines Notizbuch und einen Kugelschreiber.
»Sie machen Notizen«, befahl er ihr. »Schreiben Sie alles auf, was die Ärzte sagen, und halten Sie den Mund.«
Regina war es nicht gewohnt, Befehle entgegenzunehmen, doch als sie die großformatige n Autopsiefotos sah, die auf den Schreibtischen im ersten Büro lagen, fielen Großsprecherei und Egozentrik schlagartig von ihr ab. Die Sekretärinnen kannten Andy offenbar sehr gut und flirteten heftig mit ihm. Regina platzte vor Stolz, als er sie als seine Praktikantin vorstellte.
»Du hast es gut«, sagte eine der Sekretärinnen
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