Insel der schwarzen Perlen
Schwestern da, lachten sie oft. Sie hatte Sabji zwar noch nie sprechen hören, aber sie lachte gerne und laut. Mai hingegen plapperte wie ein Wasserfall. Die Schwestern hatten vor Kurzem durch Majas energische Fürsprache auch offiziell die Hausmeisterstelle in dem Hafengebäude übernommen. Jetzt bekamen sie ein staatliches Gehalt, nicht viel, aber sie waren dadurch krankenversichert und hatten einen minimalen Rentenanspruch, denn vor allem Sabji lebte unterhalb der Armutsgrenze.
»Du bist so deutsch!«, lautete Keanus Kommentar, und wieder einmal hatte er über sie gelächelt. Doch Maja hatte darauf bestanden und sämtlichen Papierkram erledigt. Sie mochte diese Schwestern, die gewissermaÃen zum Inventar gehörten, angeblich war Mai in dem Gebäude geboren worden. Beide waren um die siebzig, Mai war die Jüngere, rundlich, immer gut gelaunt und redselig, wohingegen Sabji ausgemergelt und meist stumm war. Nur lachen konnte sie ebenso laut und herzlich wie Mai. Beide hatten wilde Zähne, ebensolche Lücken und verschiedenfarbiges Metall im Mund. Sabji hatte zudem auf ihren beiden Armen groÃe Geckos tätowiert und auf der linken Schulter eine Hibiskusblüte. Ihre fast weiÃen Haare trug sie in einem kurzen Männerschnitt, und ihr Blick war sehr intensiv, sodass Maja bisweilen das Gefühl hatte, von ihren Pupillen regelrecht durchbohrt zu werden.
Sabji saà längere Zeit im Gefängnis, wie sie von Keanu erfuhr. Ihr Ehemann wurde im Schlaf erstochen, man verurteilte sie als einzige mögliche Verdächtige. Ob es stimmte, wusste Keanu nicht. Es gab einen Streit um die gemeinsame Tochter, die daraufhin verschwunden wäre. Sie war dreizehn Jahre alt. Es war ein heikles Thema, und bis heute wusste angeblich niemand, wo diese Tochter abgeblieben war, noch nicht einmal Tante Mai. Sabji hatte ein eher trauriges Leben hinter sich, über dreiÃig Jahre war sie weggesperrt gewesen.
Seit ihrer Entlassung vor wenigen Jahren lebte Sabji bei Mai. Ihre jüngere Schwester war vielfache GroÃmutter und verdingte sich auch deshalb in Lihue immer noch als Putzfrau. Zahlreiche Mäuler von Kindern und Kindeskindern hatte sie stets zu stopfen, alle lebten über lange Zeit hinweg oder auch nur ab und zu in ihrem kleinen Haus am Rand von Lihue. In Mais Garten waren meist Zelte aufgestellt, ihre Familie war zahlreich, oft arbeitslos, und Mai war froh, ihre Schwester jetzt auch noch bei sich wohnen zu haben.
»Sabji bringt die GroÃen und Kleinen auch ohne Worte auf Trab ⦠ihr tanzen sie nicht auf der Nase herum wie mir ⦠Sie hat gut aufgepasst, meine Schwester, all die Jahre im Bau. Disziplin! Aaaachtung!«
Lachend sagte Mai es, salutierte wie ein Kadett und klopfte sich nebenbei noch auf die fülligen Schenkel, während sie Sabji anstrahlte. Die Schwestern waren sich sehr nah, man spürte, wie viel Freude sie aneinander fanden.
Im Roten Haus knackte es im oberen Stockwerk, und Maja meinte Schritte zu hören. Doch als sie nach Mai und Sabji rief, kam keine Antwort. Vielleicht kam das Knacken von dem alten Holzgebälk, das sich nach den ausgiebigen Regenfällen wieder zusammenziehen musste, damit versuchte sie sich zu beruhigen. Sobald das Dachgeschoss endlich verkauft war, würde es vom Rest des Hauses abgetrennt werden und war dann nur noch über eine AuÃentreppe erreichbar. Jetzt hatte Maja wenig Lust, bis unters Dach zu gehen, zumal die obere Treppe nicht fertig renoviert worden war, seit es Streitereien wegen der Kostenübernahme gab. Trotzdem beunruhigte sie das Geräusch.
Um sich auf andere Gedanken zu bringen, sah Maja nach, ob in ihrem Computer Nachrichten beantwortet werden mussten. Es gab einen lustigen Gruà von Ina und Majas Exfreund Stefan. Die Freunde verbrachten mit ihrer alten Clique ein Wochenende in den nahe gelegenen bayerischen Bergen. Maja klickte sich eine Weile durch die fröhlichen Fotos und fühlte sich danach noch einsamer.
In der folgenden Stunde vertiefte sie sich in das historische Urteil und bemühte sich, jedes einzelne Wort zu entziffern. Die Tinte war teilweise sehr verblasst, doch so viel entnahm sie dem Schriftstück: Kelii war tatsächlich wegen des Diebstahls einer einzigen, ungewöhnlich groÃen und wertvollen Perle zu einem Leben hinter Gittern verurteilt worden. Beigelegt war die maÃgetreue Zeichnung einer Perle, die selbst Maja erstaunte. Sie verstand nicht viel von Perlen,
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