Insel der Sehnsucht, Insel des Gluecks
Marisas Lügen akzeptierte. Und es hatte viele solcher Lügen gegeben - oberflächlich betrachtet Kleinigkeiten, die jedoch schmerzten und alle darauf abzielten, Chloe in ein schlechtes Licht zu stellen. Da war ihr aber noch nicht klar gewesen, dass Marisa sie nicht als ältere Schwägerin betrachtete, sondern mit der heftigen Eifersucht einer Rivalin um die Liebe ein und desselben Mannes. Wobei Marisa den Vorteil hatte, Leon in zweifacher Hinsicht für sich zu
beanspruchen: als
Halbschwester und als Geliebte.
Seine Geliebte! Es gab Tabus, die über alle Zeit und Völker Gültigkeit beanspruchten, und auch nach griechischem Recht hatte Leon eine unverzeihliche Sünde begangen, wenn er seine Halbschwester zu seiner Geliebten gemacht hatte. Ja, nach griechischen Vorstellungen war keine Verantwortung größer als diejenige, die ein Mann seinen Schwestern schuldete. Marisa hätte längst gut verheiratet sein müssen. Immerhin war sie jetzt zweiundzwanzig. Aber Marisa würde wohl nie heiraten. Auch das hatte sie Chloe gesagt an jenem Tag, als sie ihr über so vieles die Augen geöffnet hatte - einschließlich der Tatsache, dass sie, Marisa, und Leon schon seit Jahren ein Liebespaar waren.
"Chloe."
Sie hatte Leon nicht ins Zimmer kommen hören. Er hatte sich inzwischen auch umgezogen und trug jetzt Jeans und ein leichtes Baumwollhemd, das die Muskeln seines athletischen Oberkörpers erahnen ließ. Sein Anblick weckte in Chloe schmerzliche Erinnerungen. So hatte er sich in ihren Flitterwochen immer gekleidet, als sie seinen
Liebesbeteuerungen noch geglaubt und nur befürchtet hatte, dass sie ihm mit ihrer Naivität und Unerfahrenheit nicht gerecht werden könnte.
Doch er hatte ihre Ängste mit zärtlichen Küssen zerstreut und ihr versichert, dass ihre Unschuld sie für ihn nur noch wertvoller machen würde. Alles, was sie lernen müsste, würde sie von ihm lernen. So wie Marisa es von ihm gelernt hatte!
"Was willst du, Leon?" fragte Chloe scharf und bedauerte es sofort. Das zornige Aufleuchten seine r grauen Augen verriet, dass sie ihn verärgert hatte, und es war nicht klug, Leon Stephanides zu verärgern.
"Du weißt, was ich will. Einen Sohn als Entschädigung für den, dessen werdendes Leben du zerstört hast. Und du wirst mir diesen Sohn geben, Chloe!"
"Was ist mit Marisa? Weiß sie von deinem plötzlichen Wunsch? Was hast du vor? Willst du dich von mir scheiden lassen, sobald ich diesen Sohn geboren habe, den du dir so sehr wünschst?"
Leon ignorierte ihre Fragen. "Ich hatte ursprünglich vor, heute Vormittag nach Athen zu fliegen. Aber mein Termin ist verschoben worden, deshalb werde ich dich stattdessen in der Villa herumführen. Obwohl es sich um eine wichtige Geschäftsbesprechung handelte, hatte mein Geschäftsfreund Verständnis dafür, dass ich augenblicklich Wichtigeres zu tun habe, nachdem ich mich gerade erst mit meiner Frau versöhnt habe."
Diese Worte enthielten eine unterschwellige Warnung, doch Chloe ging nicht darauf ein und sah ihn nicht einmal an.
"Als meine Frau wirst du nun gewisse Pflichten übernehmen müssen. Man erwartet, dass wir ein gewisses Maß an Geselligkeit pflegen, deshalb solltest du dich besser mit den Räumlichkeiten des Hauses vertraut machen."
Geselligkeit! Chloe warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
"Und du würdest dieses Risiko eingehen? Ich bin kein Kind mehr, das sich herumkommandieren lässt, Leon. Du kannst mich vielleicht gegen meinen Willen auf dieser Insel festhalten, aber mich nicht daran hindern, deinen Freunden und Gästen zu sagen, was du mit mir machst. Du hast mich einmal benutzt - ich werde es kein zweites Mal zulassen."
Das zornige Aufblitzen seiner Augen verriet, dass ihre Worte ihn getroffen hatten. Aber Leon hatte sich rasch wieder in der Gewalt. "Nur zu, erzähl es ihnen", sagte er eiskalt. "Es wird sie nicht interessieren. In Griechenland gilt die Frau als Besitz ihres Mannes. Sie werden dich auslachen, wenn du es wagst, dich zu beklagen - und mich werden sie loben, weil ich dich so behandle, wie es eine abtrünnige Ehefrau verdient. Viele werden deine Strafe sogar als viel zu nachsichtig betrachten.
Griechische Männer sind nicht so zimperlich, wenn es darum geht, ihre Frauen zur Ordnung zu rufen. Schon gut!" Er winkte ab, als Chloe unwillkürlich zurückzuckte. "Ich halte nicht viel davon, Dominanz rein körperlich zu beweisen."
"Das sagst ausgerechnet du?" fuhr Chloe empört auf,
"obwohl du mir erst vor wenigen Minuten erklärt hast,
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