Insel der Sehnsucht, Insel des Gluecks
der schrecklichen Stürme in der Ägäis gelesen hatte. Im antiken Griechenland glaubte man, die würden durch den Zorn des Poseidon verursacht, und auf manchen Inseln hatte man sogar Menschenopfer dargebracht, um den Meeresgott zu besänftigen
- so wie sie, Chloe, Leons Leidenschaft für Marisa geopfert wurde!
Bei dem Gedanken wurde es Chloe übel.
"Kann es denn wirklich nicht bis morgen warten?" wagte sie zu protestieren. "Marisa kann auf der Insel doch nicht weit gekommen sein. Du hast doch gesagt, dass man bereits nach ihr sucht."
"Du verstehst das nicht! Ich muss zurück. Ich muss ..." Leon verstummte, doch Chloe sah das entschlossene Aufleuchten in seinen Augen. Alles andere außer seinem Wunsch, so schnell wie möglich zu Marisa zu kommen, war jetzt zweitrangig geworden.
Langsam stand sie auf und sammelte ihre Kleidungsstücke vom Boden auf.
"Chloe..."
Sie zögerte, ohne sich zu Leon umzudrehen.
"Es tut mir Leid, aber ich habe keine Wahl. Ich muss es tun.
Steh mir zur Seite, ja?"
Sie nickte und versuchte, die aufsteigenden Ängste zu bezwingen. Worum bat Leon sie wirklich? Dass sie ihm verzieh, weil er gegen seine Gefühle für Marisa machtlos war? Dass sie geduldig im Hintergrund abwartete? Aber war es nicht einfach natürlich, dass er sich um seine Halbschwester sorgte? Sie musste aufhören, voreilige Schlüsse zu ziehen. Leon begehrte sie, das hatte er ihr gesagt und wiederholt gezeigt. Sie würde ihm vertrauen. Bebend atmete sie ein.
"Ich werde mich anziehen."
"Braves Mädchen. Und ich gehe jetzt besser an Deck. Es könnte eine sehr lange und stürmische Nacht werden."
9. KAPITEL
Chloe suchte sich aus dem Schrank die wärmsten Sachen, die sie fand: Jeans und eine Bluse mit langen Ärmeln. Während sie sich anzog, ermahnte sie sich erneut, nicht zu viel in Leons natürliche Sorge um seine Halbschwester hineinzulesen.
Dennoch blieben Zweifel, und sie bereute es bitter, Leon nicht früher wegen Marisa zur Rede ge stellt zu haben. In der gegenwärtigen Situation wäre es gefühllos gewesen, also blieb ihr nichts anderes übrig, als abzuwarten.
Sie fand Leon beim Kapitän. Er lächelte ihr zu und kam an ihre Seite, weil die Yacht in dem aufkommenden schweren Wellengang heftig schwankte. Es war empfindlich kalt geworden, und ein scharfer Wind blies Chloe ins Gesicht.
"Ich habe einen Kurs festgelegt, der uns mit etwas Glück das Schlimmste erspart", sagte der Kapitän gerade zu Leon.
"Du gehst besser unter Deck", wandte Leon sich an Chloe.
"Dort ist es wenigstens warm und trocken. Ich bleibe hier oben beim Kapitän."
Chloe folgte seiner Aufforderung, obwohl sie ihn gern gebeten hätte, bei ihr zu bleiben. Es war, als hätte der Sturm die zärtliche Vertrautheit zwischen ihnen weggeblasen.
Das Warten unter Deck kam Chloe hart an. Die Stunden schleppten sich endlos dahin. Sie versuchte, etwas zu lesen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Immer wieder lauschte sie nach oben und wünschte sich, bei Leon zu sein. Als irgendwann die Tür aufging, sprang sie erwartungsvoll auf. Doch ihr Lächeln erstarb sofort, denn es war nur einer der Stewards, der ihr Kaffee brachte.
Resigniert setzte Chloe sich wieder in ihren Sessel. Einige Male überlegte sie, gegen Leons Anordnung zu ihm an Deck zu gehe n. Aber ein Blick durch eines der Bullaugen auf die sturmgepeitschte See ließ es ihr klüger erscheinen, unter Deck zu bleiben.
Vier Stunden, nachdem sie Los verlassen hatten, näherten sie sich endlich dem kleinen Hafen von Eos. Leon kam nach unten, um Chloe Bescheid zu sagen.
"Spiro wartet am Hafen mit dem Jeep. Er wird dich am Haus absetzen, bevor wir..."
"Dann hat man sie immer noch nicht gefunden?" erkundigte Chloe sich ausdruckslos.
Er schüttelte den Kopf.
"Leon ...".sie legte ihm eine Hand auf den Arm und blickte ihn flehentlich an, "... lass mich mit dir kommen. Bitte!"
"Es ist zu gefährlich. Du kennst die Insel nicht. Um Himmels willen, sieh mich nicht so an", bat er heiser. "Versuch mich doch zu verstehen, Chloe."
Sie wandte sich ab, damit er ihre Tränen nicht sah. Seine Weigerung, sie mitzunehmen, empfand sie als eine
Zurückweisung zu Gunsten Marisas. Doch ihre Vernunft sagte ihr, dass es höchst selbstsüchtig von ihr gewesen wäre, jetzt eine gefühlsträchtige Szene zu machen. Also schluckte sie die Tränen hinunter und rang sich ein Lächeln ab.
"Braves Mädchen." Leon küsste sie flüchtig auf den Mund und verschwand zum Mannschaftsquartier. Als er zurückkam, trug er
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