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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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brasilianischen Hauptstadt, erstmals Land. Doch das gezackte Küstengebirge hatte denselben Effekt wie São Tiaga. Kaum hatten die Schiffe das Kap umsegelt, flaute der Wind ab, und sie mussten förmlich nach Rio de Janeiro kriechen. Sie trafen erst in der Nacht vom 4. auf den 5. dort ein, mitten im Winter, da
Rio auf der südlichen Halbkugel lag. Die Überfahrt von Portsmouth nach Rio hatte 84 Tage oder genau 12 Wochen, die Überfahrt von Teneriffa nach Rio 56 Tage oder genau 8 Wochen gedauert. Die Flotte hatte 6100 Landmeilen zurückgelegt.
    Es dauerte geraume Zeit, bis die Behörden der portugiesischen Kolonie der Flotte die Erlaubnis gaben, in den Hafen einzulaufen. Um drei Uhr nachmittags war es endlich so weit. Unter dem Gedonner von 13 Salutschüssen der Sirius , denen die Kanonen von Fort Santa Cruz antworteten, segelte die Flotte über die eine Meile breite Barre zwischen den Zuckerhüten.
    Seit Tagesanbruch drängte sich auf der Alexander alles an der Reling und bestaunte die exotische Schönheit der Landschaft. Der südliche Zuckerhut war ein tausend Fuß hohes, mit Bäumen bekröntes Ei aus rötlich-grauem Felsen, der nördliche Zuckerhut kahl und weniger spektakulär. Daneben ragten andere Berge mit gezackten und abgeschnittenen Spitzen empor, deren Flanken dichter Dschungel und grüne Weiden mit grauen, blassgelben und rötlichen Felsvorsprüngen bedeckten. Lange gelbe Sandstrände schwangen sich am Ufer entlang, vor der Barre mit Brandung, dahinter ruhig und beschaulich. Kurz hinter der Barre, gegenüber einer der vielen Festungen, die Rio de Janeiro vor Seeräubern schützen sollten, gingen die elf Schiffe vorläufig vor Anker, ehe sie am nächsten Tag zu ihren Dauerliegeplätzen vor São Sabastião geschleppt wurden, wie die Stadt Rio eigentlich hieß. Die Stadt lag auf einer nahezu quadratischen Halbinsel an der Westküste und schickte tentakelartige Ausläufer in die Täler der bergigen Umgebung.
    Der Hafen wimmelte von Proviantbooten. Die meisten wurden von spärlich bekleideten Schwarzen gesteuert und prunkten mit leuchtend bunten Sonnensegeln. Richard konnte die mit goldenen Kreuzen geschmückten Kirchtürme sehen, doch waren sie praktisch die einzigen hohen Gebäude in der Stadt. Niemand hatte den Sträflingen verboten, an Deck zu gehen, und nicht einmal John Power wurden Ketten angelegt. Dafür patrouillierten ständig Langboote um die sechs Transportschiffe und verscheuchten die Proviantboote.

    Es war schön und sehr heiß, und kein Lüftchen regte sich. Wenn man doch nur an Land gehen dürfte! Aber das war unmöglich, wie alle Sträflinge begriffen. Gegen Mittag erhielt jeder ein großes Stück frisches Fleisch, dazu Süßkartoffeln und Bohnen, Reis und ein merkwürdig schmeckendes Brot, das, wie Richard später erfuhr, aus einer Wurzelknolle mit Namen Kassave oder Maniok gebacken wurde.
    Doch das alles war vergessen, als die Boote zurückkamen und lachende Schwarze mit blitzenden weißen Zähnen hunderte und aberhunderte von Orangen an Deck warfen und die Gefangenen ein Spiel daraus machten, sie aufzufangen. Außer Richard kannten nur wenige diese Frucht. Er hatte gelesen, dass einige wohlhabende Familien »Orangerien« besaßen, und einmal hatte ihm Vetter James, der Apotheker, der Zitronen importierte und aus ihren Schalen Zitronenöl gewann, eine Orange gezeigt.
    Manche der Früchte leuchteten in einem satten Orange, andere waren fast rot und hatten blutrotes Fruchtfleisch. Als die Sträflinge und Seeleute dahinter gekommen waren, wie leicht sich die ungenießbare Schale ablösen ließ, verschlangen sie gierig den zuckersüßen, saftigen Inhalt. Zur Abwechslung aßen sie immer wieder auch dicke, hellgelbe Zitronen oder lutschten an Limonen, die weniger saftig und geschmacklich irgendwo zwischen den sauren Zitronen und den süßen Orangen anzusiedeln waren. Am Ende der dritten Woche in Rio stellte Neddy Perrott fest, dass die blasseren Früchte unreif geerntet worden waren, und legte sich einen Vorrat der saftigen Kugeln an. Andere Sträflinge folgten seinem Beispiel. Einige, wie Richard, bewahrten Samen von Orangen und Zitronen auf.
    Jeden Tag bekamen sie frisches Fleisch, Gemüse und Kassavebrot. Und als die Seesoldaten entdeckt hatten, dass der Rum in Rio zwar von minderer Qualität war, aber kaum mehr als Wasser kostete, war es um Disziplin und Diensteifer des Wachpersonals geschehen. Die beiden Leutnants waren nur noch selten an Bord, und Bordarzt Balmain unternahm ausgedehnte

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