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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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der Turtle Bay an Richards Hütte vorbeigekommen war.
    Im Winter trafen vierzehn neue Seesoldaten unter dem Kommando von Leutnant John Creswell ein. Dank der zusätzlichen Arbeitskräfte und der strengeren Beaufsichtigung konnte der Kommandant die meisten seiner Vorhaben in die Tat umsetzen. Auch der Damm wurde gebaut. Einige hundert Meter oberhalb des Dammes stand einsam am Waldrand Richards neues Haus.
    Als Nächstes nahm Leutnant King Wege in Angriff. Ein drei Meilen langer Weg wurde quer durch die Insel zur Cascade Bay angelegt. Die Bucht hatte diesen Namen erhalten, weil dort der imposanteste der vielen kleinen Wasserfälle der Insel von einer Klippe ins Meer stürzte. Vor dem Ufer bildete ein vorspringender Felsen eine Art Terrasse, an der Boote anlegen konnten, wenn das stürmische Wetter eine Landung an der Sydney Bay unmöglich machte. Außerdem wuchs in der Umgebung der Cascade Bay besonders
viel guter Flachs. Leutnant King beschloss deshalb, oberhalb des Landungsplatzes eine neue Siedlung namens Phillipburgh zu errichten, in der Flachs zu Leinwand verarbeitet werden sollte.
    In Sydney Town schossen entlang der Straße immer mehr Hütten und Häuser wie Pilze aus dem Boden. Richard besuchte den Ort nur noch, um am Gottesdienst teilzunehmen und seine Verpflegungsrationen abzuholen. Sein Hund MacTavish, der sich als ebenso guter Wächter erwies wie sein Vater MacGregor, war die einzige Gesellschaft, die er wünschte - von Stephen Donovan abgesehen, der in seinen Gedanken längst nicht mehr Mr Donovan, sondern nur noch »Stephen« war.
    Richards Haus maß zehn auf fünfzehn Fuß und hatte mehrere große Fensteröffnungen, die viel Licht hereinließen. Johnny Livingstone hatte ihm einen Tisch und zwei Stühle angefertigt. Das Dach war mit Flachs gedeckt, doch King hatte ihm bis zum Jahresende Schindeln versprochen. Der Boden bestand aus Holzdielen. Das Fundament des Hauses bildeten Tannenstämme. Das Holz verrottete in der Erde zwar, aber Richard konnte faulende Stämme wenigstens leicht herausziehen und ersetzen, ohne das Haus abreißen zu müssen. Innen war das Haus mit dünnen, schön gemaserten Tannenbrettern verkleidet. Die geriffelte Maserung erinnerte Richard an Sonnenstrahlen auf ruhigem Wasser.
    Die Zahl der Inselbewohner war auf hundert gestiegen, und auch die Zahl der Einbrüche hatte zugenommen. Von Richard Morgan hielten die Diebe sich freilich fern. Wer einmal die Muskeln seines nackten Oberkörpers unter der gebräunten Haut hatte arbeiten sehen, wenn Richard die vierzehn Fuß lange Säge durch einen dicken Stamm zog, vermied es, sich mit ihm anzulegen. Außerdem war Richard ein Einzelgänger, und Einzelgänger waren den meisten Inselbewohnern unheimlich. Ein Mann, der lieber allein war, der keine Gesellschaft suchte und sich nicht nach Anerkennung durch andere sehnte, konnte nicht ganz richtig im Kopf sein. Doch Richard genoss sein Einsiedlerdasein. Er fand es erstaunlich, dass nicht mehr Leute, die jahrelang so dicht mit anderen zusammengesperrt gewesen waren, das Bedürfnis nach Einsamkeit hatten.

    Im Winter rächte der harte Kern der Meuterer sich schließlich doch noch an John Bryant. Francis, Pickett, Watson, Peck und andere Sträflinge von der Golden Grove schlugen Holz auf dem Mount George, als Bryant - keiner wusste, wie oder warum - unter eine umfallende Tanne geriet. Der Baum zerschmetterte Bryant den Kopf. Er starb zwei Stunden später und wurde noch am selben Tag beerdigt. Weinend lief seine vor Kummer halb wahnsinnige Witwe durch Sydney Town.
    »Die Stimmung ist angespannt«, sagte Stephen nach der Beerdigung auf dem Weg zu Richards Haus.
    »Es musste so kommen«, erwiderte Richard nur.
    »Die arme Frau! Und es war kein Priester da, um ihren Mann zu beerdigen.«
    »Gott ist das egal.«
    »Gott ist alles egal!«, sagte Stephen heftig. Er betrat Richards Haus, und ihm fiel auf, wie sauber und aufgeräumt es war. »Herrgott«, seufzte er und sank auf einen Stuhl. »Heute ist einer der seltenen Tage, an denen ich einen Schluck Rum gebrauchen könnte. Ich fühle mich am Tod Bryants mitschuldig.«
    »Es musste so kommen«, wiederholte Richard.
    MacTavish sprang auf Richards Schoß und legte sich ruhig hin. Er hat ihn gut erzogen, dachte Stephen. Wie schafft er es nur, immer noch genauso auszusehen wie bei unserer ersten Begegnung? Wir anderen werden alt und bitter, doch er bleibt so, wie er immer war.
    »Bringen Sie mir ein paar der Zuckerrohrstauden, die hier überall wachsen«, sagte

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