Insel der Verlorenen Roman
vorgestellt, dass dort ständig um Geld, Schnaps, Brot und andere Dinge gekämpft wurde. Jetzt begriff er, dass die Wärter zu klug waren, um es so weit kommen zu lassen. Den Häftlingen fehlte die Kraft zum Kämpfen. Sie waren vom Hunger geschwächt, und viele von ihnen hatten auf leeren Magen getrunken. Sabbernd und misstönend vor sich hin summend lehnten sie mit ausgestreckten Beinen an der Wand und nahmen nichts mehr wahr.
Willy wich Richard nicht von der Seite. Er hing an ihm wie eine Klette. Wohin Richard auch ging, Willy folgte ihm heulend. Ich werde noch verrückt, dachte Richard. Das halte ich nicht aus. Trotzdem, ich betrinke mich nicht wieder mit Rum oder dem billigeren Gin. Schließlich ist der Albtraum hier in ein paar Monaten vorbei - eben dann, wenn die Gerichte sich mit mir und Willy befassen.
Warum heult Willy bloß die ganze Zeit so jämmerlich? Was nützt ihm das?
Nach einer Stunde wurde Richard müde. Die Eisen um seine Knöchel begannen zu schmerzen. Er suchte sich ein freies Stück Wand, das breit genug für ihn und seinen Schatten war, setzte sich hin und streckte mit einem Seufzer der Erleichterung die Beine aus. Nun verstand er, warum alle Gefangenen so dasaßen. Wenn die Fußfesseln auf dem Boden auflagen, war ihr Gewicht nicht mehr zu spüren. Richard stellte fest, dass seine dicken Stricksocken vom Laufen mit den Fesseln bereits zerschlissen waren. Auch das war ein Grund, warum die meisten sich nicht von der Stelle bewegten.
Er hatte Durst. Aus der Wand, hinter der die Froom vorbeifloss, ragte ein Rohr, aus dem ein dünner Wasserstrahl in einen Pferdetrog plätscherte; ein zinnerner Schöpflöffel diente als Trinkgefäß. Richard starrte den Trog an, und im selben Augenblick blieb eine zerlumpte Gestalt davor stehen, um hineinzupinkeln. Richard sah, dass der Trog direkt neben vier unverkleideten Aborten stand, die für die Bedürfnisse von über zweihundert Männern ausreichen mussten. Wenn Vetter James, der Apotheker, Recht hat, dann sterbe ich, wenn ich dieses Wasser trinke, dachte Richard. Die Männer hier sind alle krank.
In diesem Augenblick erschien wie durch Richards Gedanken beschworen Vetter James im Tor zum Korridor. Einige Schritte hinter ihm folgte Dick.
»Vater!«, rief Richard. »Vetter James!«
Die beiden steuerten auf ihn zu. Das Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
Zum ersten Mal sah Richard Dick auf die Knie fallen und zusammenbrechen. Richard strich beruhigend über die zuckenden Schultern seines Vaters und blickte über sie hinweg den Apotheker an.
»Wir haben euch einen Krug Dünnbier mitgebracht«, sagte Vetter James. Er zog den Krug aus einem Beutel. »Und etwas zu essen.«
Willy hatte sich in den Schlaf geweint, er wachte jedoch sofort auf, als Richard ihn schüttelte. Nie hatte etwas so gut geschmeckt
wie dieses Bier! Richard reichte Willy den entstöpselten Krug, dann griff er in den Beutel. Im Beutel befanden sich Brot, Käse und ein Dutzend frische Äpfel. Richard befürchtete schon, die apathischen Gefangenen könnten sich beim Anblick der Köstlichkeiten in eine zähnebleckende, rasende Meute verwandeln, doch die Gefangenen blieben ruhig. Sie hatten jede Hoffnung aufgegeben.
Dick erlangte die Fassung wieder und wischte sich Augen und Nase am Hemd ab. »Das ist ja furchtbar! Einfach furchtbar!«
»Es wird nicht ewig dauern, Vater«, sagte Richard, ohne zu lächeln. Er wollte nicht, dass seine Lippe wieder aufplatzte und Dick sich noch mehr Sorgen machte. »Irgendwann wird mein Fall verhandelt und dann komme ich frei.« Er zögerte. »Kann ich gegen Kaution entlassen werden?«
»Das weiß ich noch nicht, aber morgen früh gehe ich als Erstes zu Vetter Henry, dem Anwalt, und dann begeben wir uns in die Höhle des Löwen, in das Büro der Staatsanwaltschaft«, sagte Vetter James eifrig. »Sei guten Mutes, Richard. Die Morgans sind in Bristol bekannt. Du bist ein unbescholtener Bürger aus guter Familie. Ich kenne den Laffen, der Anzeige gegen euch erstattet hat - er treibt sich gewöhnlich in der Nähe des Tolzey herum und schreit iah!, weil er so ein Esel ist.«
»Ich weiß ja nicht, wie die Nachricht sich so schnell verbreiten konnte«, sagte Dick, »aber noch bevor wir zu unserem Besuch hier aufbrachen, erschien Senhor Habitas. Seine älteste Tochter ist mit einem Elton verheiratet, und Sir Abraham Isaac Elton ist ein sehr guter Freund. Senhor Habitas meinte, du könntest sicher sein, dass Sir Abraham Isaac der Richter sein wird, der bei
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