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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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hemmen. Hesseltine versuchte das durch Charme auszugleichen und gab ihnen einen packenden Augenzeugenbericht von ihrem Angriff auf die Ali Khamenei: Sein Vokabular mutete Laura phantastisch an, obwohl es wahrscheinlich nur fachmännischer Jargon war: Es ging um ›Zielerfassung‹, ›Trefferwahrscheinlichkeit‹, ›Nachsteuerung‹, ›Auftreffpunkt‹. Von verbrannten und zerfetzten Menschen war nicht die Rede. Endlich brach sein Enthusiasmus das Eis, und die Offiziere unterhielten sich zwangloser, freilich in einer nautisch-technischen Fachsprache, die zum großen Teil aus Akronymen und Ausdrücken bestand und Laura weithin unverständlich blieb.
    Für diese Offiziere der Roten Mannschaft war es ein aufregender Tag gewesen. Nach Wochen, vielleicht Monaten einer wahrscheinlich unmenschlichen, erstickenden Langeweile hatten sie erfolgreich ein ›hartes Ziel‹ ausgemacht und vernichtet. Für diesen Schlag gegen den Terrorismus erwartete sie anscheinend eine Art Belohnung - sie hatte etwas mit ›Hollywood-Bädern‹ zu tun, was immer darunter zu verstehen war. Die Gelbe Mannschaft, jetzt im Dienst, würde ihre sechsstündige Wache damit verbringen, daß sie das Boot durch die Tiefen des Indischen Ozeans zu ihrem Stützpunkt zurückführte. Was die Blaue Mannschaft betraf, so hatte diese keine Gelegenheit gehabt, an der Aktion teilzunehmen, und haderte mit dem Schicksal.
    Laura fragte sich, ob es eine Flucht war, und wovor. Die Raketen - ›Exocets‹ nannten sie sie - waren dreißig oder vierzig Kilometer weit geflogen, bevor sie ihr Ziel getroffen hatten. Sie hätten von beinahe jedem größeren Schiff in der Malakkastraße gestartet sein können, sogar von Sumatra. Niemand konnte das U-Boot gesehen haben.
    Und wie sollte jemand von seiner Existenz ahnen? Ein U-Boot war ein Ungeheuer aus einem vergangenen Zeitalter. Es war nutzlos, nur für den Kampf entwickelt - es gab keine ›Fracht-U-Boote‹ oder U-Boote der Küstenwache oder Rettungs-U-Boote.
    Gewiß, es gab kleine Tiefseetauchboote, genauso wie es noch immer ein paar bemannte Raumfähren zum Aussetzen und Einfangen von Satelliten gab, gedrungene, seltsam aussehende Fahrzeuge für Forschungszwecke und Arbeiten an Tiefseekabeln. Aber dieses Ding war riesig. Und die Wahrheit – oder eine Furcht, die stark genug war, um als Wahrheit durchzugehen - begann einzusickern.
    Es erinnerte sie an eine Geschichte, die sie gehört hatte, als sie elf oder zwölf gewesen war, und die großen Eindruck auf sie gemacht hatte. Eine von diesen Horror-Volkserzählungen, die bei Kindern offene Ohren fanden und mit Vorliebe weitererzählt wurden. Sie handelte von dem Jungen, der zufällig eine Nadel verschluckt hatte, die Jahre oder Jahrzehnte später in seinem Knöchel oder seiner Kniescheibe oder seinem Ellbogen aufgetaucht war, rostig, aber noch ganz, ein stilles Stück Stahl, das ohne sein Wissen auf unbekannten Wegen durch seinen lebenden, atmenden Körper wanderte, während er aufwuchs und heiratete und seiner Arbeit nachging… bis er eines Tages zum Arzt geht und sagt: Herr Doktor, ich werde alt, vielleicht ist es Rheumatismus, ich habe da einen seltsam stechenden Schmerz im Knie… Gut, sagt der freundliche Arzt, das werden wir uns gleich unter dem Röntgengerät ansehen… Mein lieber Freund, Sie scheinen da eine bösartige Nadel unter der Kniescheibe versteckt zu haben… Ach ja, großer Gott, ich hatte es ganz vergessen, aber als Junge spielte ich gern mit Nadeln, und einmal hielt ich eine zwischen den Zähnen, und sie geriet mir in den Hals und war weg…
    »Fehlt Ihnen was?« sagte Hesseltine.
    »Wie bitte?« sagte Laura.
    »Wir sprechen von Ihnen. Es geht um die Frage, ob wir Sie gleich in einen Tank stecken oder noch eine Weile draußen lassen.«
    »Ich verstehe nicht«, sagte sie wie betäubt. »Sie haben Tanks? Ich dachte, Sie seien bei der Marine.«
    Die Offiziere brachen in Gelächter aus, jo-ho-ho. Der russisch Aussehende meinte, die Frauen der Welt seien in den Jahrzehnten seit ihrer Emanzipation nicht klüger geworden. Hesseltine lächelte ihr zu, als hätte sie zum ersten Mal etwas richtig gemacht.
    »Wozu lange erklären?« sagte er. »Wir werden sie Ihnen zeigen. In Ordnung, Baptiste?«
    »Warum nicht?«
    Hesseltine schüttelte den anderen die Hand und ging mit Baptiste und Laura: Sie kamen durch eine Kantine, wo dreißig gepflegt aussehende und sauber gekleidete Männer der Roten Mannschaft Ellbogen an Ellbogen um Klapptische saßen und ihr Abendessen

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