Inseln im Netz
Gresham. Mir liegt einfach nichts an Wien oder seinem Geld. Das ist nicht meine Art. Mir liegt an der Welt, in der ich leben muß.«
»Ich lebe nicht in deiner Welt«, erwiderte er. »Das mag kraß klingen, aber ich kann dir soviel sagen: Wenn du zurückkehren willst und sein, die du bist, und dein angenehmes Leben unter deinesgleichen in der Welt der Multis und Datennetze führen, dann solltest du lieber nicht versuchen, allzu vielen Leuten auf die Schlipse zu treten. Vielleicht könnte ich solch eine Kraftprobe überleben, hier draußen in der Wüste, wo ich mich auskenne, aber ich glaube nicht, daß du es könntest. Die Welt pfeift darauf, wie edel deine Motive sind - sie rollt über dich hinweg. So liegen die Dinge. Du kannst mit den Leuten reden, da und dort Druck ausüben, aber du kannst es nicht mit der Welt aufnehmen.«
Sie betrachtete ihr Haar im Spiegel. Eine wilde Mähne. Sie hatte es unter der Dusche gewaschen, und die trockene Hitze hatte es spröde gemacht. Es stand ihr wie eine Explosion um den Kopf.
Er ließ nicht locker. »Es hat keinen Sinn, auch nur den Versuch zu machen. Das Netz wird diese Aufzeichnung niemals senden, Laura. Nachrichtendienste bringen grundsätzlich keine Aufzeichnungen von Terroristengeiseln. Bis auf Wien, wo man weiß, daß es wahr ist, werden alle es für phantastischen Unsinn halten, werden glauben, daß du unter Nötigung sprichst, oder in einem Zustand nervöser Überreiztheit, oder daß die ganze Geschichte ein Schwindel ist.«
»Du hast eine Aufzeichnung von diesem atomaren Testgelände, nicht?« sagte sie. »Du könntest das Material an meine Erklärung anhängen. Dann wollen wir sehen, wie sie es leugnen!«
»Das werde ich natürlich machen - aber sie könnten es auch so leugnen.«
»Du hast meine Geschichte gehört«, sagte sie. »Ich überzeugte dich, nicht wahr? Es ist so geschehen, Gresham. Es ist die Wahrheit.«
»Ich weiß, daß es die Wahrheit ist.« Er gab ihr eine lederne Feldflasche.
»Ich kann es schaffen«, sagte sie ihm. »Ich kann es mit der Welt aufnehmen. Nicht bloß mit irgendeiner kleinen Ecke, sondern mit der ganzen gewaltigen Masse. Ich weiß, daß ich es kann. Ich bin gut darin.«
»Wien wird es unterdrücken.«
»Wien wird es nicht unterdrücken können.« Sie preßte einen Strahl lauwarmen Wassers aus dem Lederbeutel in den Mund und stieß das Make-up-Etui aus dem Aufnahmewinkel der Kamera. Sie verschloß die Feldflasche und legte sie neben ihr Knie.
»Es ist zu groß, als daß ich es noch zurückhalten könnte«, sagte sie. »Ich muß es erzählen. Jetzt. Das ist alles, was ich weiß.« Beim Anblick des Objektivs stieg etwas in ihr auf, adrenalinwild und stark. Elektrisch. All die Angst, die Befürchtungen und Schmerzen, zusammengepreßt in einen eisernen Rahmen. »Fang an, Gresham! Ich bin bereit. Los!«
»Du bist auf Sendung.«
Sie blickte in das Glasauge der Welt. »Mein Name ist Laura Day Webster. Ich werde mit den Ereignissen anfangen, die ich an Bord der Ali Khamenei vor Singapur erlebt habe…«
Sie wurde reines Glas, ein Supraleiter. Kein Manuskript, keine Textvorlage, sie sprach ganz frei, aber es kam überzeugend und stark heraus. Sie fühlte sich davongetragen. Die Wahrheit brach sich durch ihren Mund Bahn.
Gresham unterbrach sie mit Fragen. Er hatte eine Liste vorbereitet. Alle waren präzise und auch zur Sache gehörig. Sie waren wie Stiche, die schmerzen sollten, aber sie brachen nur dem Strom der Worte Bahn. Sie erreichten eine Ebene, die sie nie zuvor berührt hatte, eine Ekstase, reine fließende Kunst. Besessenheit.
Diesen Schliff konnte sie nicht aufrechterhalten. Es war zeitlos, solange sie davon besessen war, aber dann fühlte sie es entgleiten. Sie war heiser und begann sich zu versprechen. Die Konzentration ließ nach, Leidenschaft glitt in Geplapper ab.
»Das war's«, sagte er endlich.
»Wie war die Frage?«
»Ich habe keine mehr. Das war's. Das Interview ist beendet.«
Er schaltete die Kamera aus.
Sie seufzte, wischte die verschwitzten Handflächen an ihrer Djellabah. Sie war in Schweiß gebadet. »Wie lang war es?«
»Neunzig Minuten. Ich glaube, ich kann es auf eine Stunde zusammenschneiden.«
Neunzig Minuten. Ihr kam es wie zehn vor. »Wie war ich?«
»Erstaunlich.« Er war respektvoll. »Diese Sache, als sie das Lager angriffen - das war etwas, das niemand so leicht fälschen könnte.«
»Was?«
»Na, als vorhin die Jagdbomber kamen.« Er starrte sie an. »Düsenmaschinen aus Mali haben
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