Inseln im Strom
wurden morgens immer die Toten durch die Straßen getragen, und die Trauernden gingen in Weiß hinterher, und die Musik blies lustig, bis zum Begräbnisplatz. Die beliebteste Melodie bei den Begräbnissen war damals Happy Days Are Here Again. Man hörte sie den ganzen Tag, denn es gab sehr viele Todesfälle. Außerdem gab es allein auf der Insel vierhundert Millionäre, wie es hieß, abgesehen von den Millionären, die in Kowloon lebten.»
«Millionarios chinos?»
«Die meisten waren Chinesen, aber es waren Millionäre von jeder Sorte. Einige davon kannte ich. Wir aßen immer zusammen Mittag in den großen chinesischen Restaurants. Es gab einige Restaurants, die es mit den besten in der Welt aufnehmen konnten, und die Küche von Kanton ist hervorragend. Am besten war ich damals mit zehn Millionären befreundet, die ich alle nur mit ihren Initialen kannte, H. M. M. Y. T. V. H. J. und so weiter. Alle Chinesen von Bedeutung waren allgemein unter ihren Initialen bekannt, auch drei chinesische Generale, von denen einer aus Whitechapel in London kam und der ein wirklich großartiger Mann war. Auch ein Polizeiinspektor und sechs Piloten der Chinese National Aviation Company gehörten dazu, die fabelhaft viel Geld machten und im Grunde noch mehr verdient hätten, ferner ein Polizist, ein zeitweilig geistesgestörter Australier, einige britische Offiziere und… aber mit dem Rest will ich dich nicht langweilen. Ich habe in Hongkong mehr enge und intime Freunde gehabt als je in meinem Leben.»
«Quando viene el amor?»
«Ich überlege mir gerade, mit welcher ich anfangen soll. Also, paß auf, hier kommt etwas amor.»
«Aber erzähl’s gut. Ich habe China schon ein bißchen satt.»
«Es hätte dir bestimmt gefallen. Du hättest dich genauso in das Land verliebt wie ich.»
«Warum bist du nicht dort geblieben?»
«Man konnte nicht dort bleiben, denn die Japaner waren drauf und dran, Hongkong zu erobern.»
«Todo esta jodido por la guerra.»
«Ja, das stimmt», sagte Thomas Hudson. Er hatte Honest Lil noch niemals ein so unanständiges Wort gebrauchen hören, und er war überrascht.
«Me cansan con la guerra.»
«Mich auch», sagte Thomas Hudson. «Ich bin fertig damit. Aber an Hongkong denke ich immer noch gerne.»
«Dann fang an. Es ist bastante interesante. Ich will aber nur etwas von Liebe hören.»
«Tatsächlich war in Hongkong alles so interessant, daß man für Liebe kaum Zeit hatte.»
«In wen hast du dich zuerst verliebt?»
«Ich hatte eine Affäre mit einem großen, schönen Chinesenmädchen, die sehr europäisch und emanzipiert war, sich aber weigerte, mit mir ins Hotel zu gehen, weil jedermann es dann wüßte, wie sie sagte, und bei ihr zu Hause durfte ich auch nicht mit ihr schlafen gehen, weil sie meinte, das Dienstpersonal erführe etwas davon. Ihr Polizeihund hatte schon Wind davon bekommen, und er machte ziemliche Umstände.»
«Wo habt ihr euch also geliebt?»
«Überall, wie’s die Kinder machen, überall, wo ich sie dazu überreden konnte, besonders in Fahrzeugen und öffentlichen Verkehrsmitteln.»
«Unserem Freund, Mr. X, kann das keinen großen Spaß gemacht haben.»
«Stimmt.»
«War das alles? Habt ihr nie eine Nacht zusammen geschlafen?»
«Nie.»
«Armer Tom. War sie denn die ganzen Unbequemlichkeiten wert?»
«Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich hätte mir einfach ein Haus mieten sollen, statt im Hotel zu bleiben.»
«Du hättest dir ein Absteigequartier nehmen sollen, wie es hier alle machen.»
«Ich mag die Absteigen nicht.»
«Ich weiß, aber schließlich wolltest du doch das Mädchen haben.»
«Es fand sich ein anderer Ausweg. Langweilt es dich?»
«Nein, erzähl weiter. Was für ein Ausweg?»
«Eines Abends habe ich mit dem Mädchen zusammen gegessen, und danach sind wir lange Boot gefahren, und das war sehr schön, aber unbequem. Ihre Haut faßte sich ganz wunderbar an, ihre Lippen waren dünn und gierig, und die Präliminarien machten sie ganz verrückt. Danach gingen wir vom Boot zu ihrem Haus, wo der Polizeihund war und niemand geweckt werden durfte, und ich ging schließlich zum Hotel zurück. Mir war elend, von allem und ich war auch das Hinundhergerede leid. Natürlich hatte sie recht, aber ich dachte die ganze Zeit: wozu ist ein Mädchen so gottverdammt emanzipiert, wenn man nicht mit ihr ins Bett gehen kann. Was soll denn dann die ganze Emanzipation. Also ich war ziemlich verbiestert und frustrado… »
«Ich hab dich noch nie frustrado gesehen. Du mußt
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