Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
Roundhay Road Richtung Wetherby zur A1 zu fahren, drehte Banks auf der Roseville Road um und fuhr über die Regent Street nach Burmantofts. Er hatte mit den Batoracs gut zu Abend gegessen, wobei die Unterhaltung über Bücher und den Lehrerberuf bis zum Balkankrieg und Verbrechen kreiste. Als sie sich voneinander verabschiedeten, war es Viertel vor acht Uhr an einem herrlichen Maiabend, und als Banks in der Nähe von Jelacics Wohnung parkte, begann es allmählich dunkel zu werden. In dem honigfarbenen Dämmerlicht sahen die schäbigen Betonhochhäuser so unheimlich wie eine Marslandschaft aus.
In den Grünzonen zwischen den Gebäuden waren eine Menge Leute unterwegs, vor allem Teenager, die hier und dort in kleinen Gruppen zusammenstanden; manche saßen auch auf Schaukeln oder Karussellen.
Abgesehen von einer gewissen Atemlosigkeit gelangte Banks ohne Zwischenfälle über das mit Graffiti verschmierte Treppenhaus in den sechsten Stock und klopfte an Jelacics Tür.
Schon durch die dünnen Wände konnte er »Coronation Street« aus dem Fernseher plärren hören, und als beim ersten Mal niemand an die Tür kam, klopfte er noch lauter an. Schließlich öffnete Jelacic die Tür, ein schmuddeliges Hemd hing aus seiner Hose, und machte ein finsteres Gesicht, als er Banks erkannte.
»Sie«, sagte er. »Supak. Warum kommen her? Sie haben Mörder.«
»Die Dinge haben sich geändert, Ive«, erklärte Banks und schob sich behutsam durch die Tür. Die Wohnung war ganz wie in seiner Erinnerung: aufgeräumt, aber überlagert von einer Patina aus abgestandenem Alkohol und Zigarettenqualm. Hier konnte er sich ungestraft eine anzünden. Er drehte die Lautstärke des Fernsehers herunter und brachte damit eine von Jack und Vera Duckworth' lautstarken, öffentlichen Streitereien zum Verstummen.
Jelacic protestierte nicht dagegen. Er nahm ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit vom Tisch - wahrscheinlich Wodka, vermutete Banks - und ließ sich aufs Sofa fallen. Es knarrte unter seinem Gewicht. Seitdem Banks ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte Jelacic einige Pfund zugelegt, vor allem in der Bauchgegend. Er sah aus wie im achten Monat schwanger.
»Es wird Sie freuen, zu hören«, sagte Banks, »dass Ihr Alibi anscheinend immer noch wasserdicht ist.«
Jelacic runzelte die Stirn. »Wasserdicht? Was bedeuten?«
»Das bedeutet, wir glauben Ihnen, dass Sie zur Zeit, als Deborah Harrison ermordet worden ist, im Haus von Mile Pavelic Karten gespielt haben.«
»Ich Ihnen schon sagen. Warum kommen also her?«
»Um Ihnen ein paar Fragen zu stellen.«
Jelacic knurrte.
»Zuerst einmal: Wann genau sind Sie von Eastvale hierher gezogen?«
»Letzte Jahr. September.«
»Dann waren die Mädchen von St. Mary's also schon wieder eine Weile in der Schule, bevor Sie gegangen sind?«
»Ja. Zwei Wochen.«
Banks beugte sich vor und schnippte seine Asche in den überquellenden Zinnaschenbecher, der aussah, als wäre er aus einem Pub gestohlen worden. »Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben«, sagte er, »haben Sie blindlings geschworen, dass Sie Deborah Harrison nie gesehen haben, höchstens ein paar Mal im Vorbeigehen.«
»Stimmt.«
»Jetzt bitte ich Sie, noch einmal darüber nachzudenken. Ich gebe Ihnen noch eine Chance, um die Wahrheit zu sagen. Es geht jetzt nicht um Schuld. Sie sind kein Verdächtiger. Aber Sie könnten ein Zeuge sein.«
»Ich nichts gesehen.«
Banks deutete mit einer Kopfbewegung zum Fernseher. »Ich nehme nicht an, dass Sie Nachrichten sehen«, sagte er. »Aber zu Ihrer Information: Owen Pierce wurde für unschuldig befunden und heute Mittag freigelassen.«
»Er ist frei?« Jelacic starrte ihn mit offenem Mund an und begann dann zu lachen. »Dann Sie Fehler machen. Lassen schuldigen Mann frei. Passiert hier immer.« Er schüttelte den Kopf. »Verrücktes Land.«
»Na ja, wenigstens schießen wir hier nicht erst und fragen später nach. Aber darum geht es nicht. Vielleicht hat er das Verbrechen begangen, vielleicht auch nicht; offiziell hat er es jedenfalls nicht getan und wir nehmen unsere Ermittlungen wieder auf. Deshalb bin ich hier. Aber warum reagieren Sie so abweisend, wenn ich Sie um eine klitzekleine Hilfe bitte, Ive? Können Sie mir das erklären?«
Jelacic zuckte mit den Achseln. »Ich nichts wissen.«
»Interessiert es Sie nicht, was mit Deborah Harrison passiert ist?«
»Deborah Harrison.
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