Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
Andererseits nicht verwunderlich, denn in Schottland und Yorkshire hatte es viele religiöse Eiferer gegeben. »Interessant«, bemerkte Banks und reichte das Bild zurück. »Stanley Chadwick, nehme ich an?«
Blackstone nickte. »Aufgenommen bei seiner Beförderung zum Detective Inspector im Oktober 1965.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Hör mal, hier ist es ziemlich laut und eng. Wollen wir nicht einen Kaffee trinken gehen?«
»Hab schon zu viel getrunken«, sagte Banks, »aber wie wär's mit einem späten Mittagessen? Ich habe seit heute Morgen nichts mehr gegessen.«
»Von mir aus. Ich hab zwar keinen Hunger, aber ich komme gerne mit.«
Sie verließen Millgarth und gingen zu Fuß zum Eastgate. Es war ein schöner Tag geworden, die Mischung aus Sonne und Wolken, die man oft in Yorkshire sah, wenn es nicht regnete. Ein leichter Mantel oder Regenmantel reichte aus.
»Konntest du etwas in Erfahrung bringen?«, fragte Banks.
»Ich habe ein bisschen herumgegraben«, erwiderte Blackstone, »und von außen betrachtet, sieht es nach einer ziemlich gründlichen Ermittlung aus.«
»Aber nur von außen?«
»So tief bin ich noch nicht vorgedrungen. Vergiss bitte nicht, der Fall gehörte eigentlich zu North Yorkshire, der Großteil der Unterlagen ist deshalb dort.«
»Habe ich gesehen«, sagte Banks. »Ich interessiere mich nur für den Blickwinkel von West Yorkshire und für Chadwick selbst.«
»DI Chadwick war an North Yorkshire ausgeliehen. Wie es aussieht, hatte er seit seiner Beförderung verschiedene Erfolge gehabt und war damals so was wie der große Hoffnungsträger hier.«
»Ich hab gehört, dass er hart war. Genauso sieht er auch aus.«
»Ich habe ihn nie kennengelernt, konnte aber ein paar pensionierte Kollegen auftreiben, die ihn noch kannten. Dem Vernehmen nach war er ein harter Hund, aber auch gerecht und ehrlich, und er kam zu Ergebnissen. Von Hause aus war er strenger schottischer Presbyterianer, aber einer seiner alten Kollegen sagte mir, er habe seinen Glauben wohl im Krieg verloren. Wundert einen kaum, wenn man bedenkt, dass der arme Kerl in Burma kämpfte und bei der Landung in der Normandie dabei war.«
»Wo ist er jetzt?«
Die beiden warteten, bis die Ampel auf Grün sprang, dann überquerten sie Vicar Lane.
»Tot«, sagte Blackstone schließlich. »Nach Auskunft unserer Personalakte starb Stanley Chadwick im März 1973.«
»So jung?«, fragte Banks. »Das war doch bestimmt ein Riesenschock für alle. Der kann ja höchstens Anfang fünfzig gewesen sein.«
»Anscheinend ging es ihm in den letzten Jahren gesundheitlich immer schlechter«, sagte Blackstone. »Er war oft krankgeschrieben, und was die Arbeit anging, gab es Gerede, er würde die Zügel schleifen lassen. 1972 ging er wegen gesundheitlicher Probleme in den Ruhestand.«
»Das klingt so, als hätte er ziemlich plötzlich abgebaut«, bemerkte Banks. »Irgendeine Ahnung, woran das gelegen haben könnte?«
»Also, ein Mord war es nicht, falls du das meinst. Er hatte Herzprobleme, offenbar erblich bedingt, die jahrelang nicht behandelt wurden, vielleicht nicht mal bemerkt wurden. Er hatte einen Herzinfarkt im Schlaf. Aber du darfst nicht vergessen, das sind Informationen aus den Akten und aus dem Gedächtnis von ein paar alten Männern, die ich auftreiben konnte. Zum Teil sind diese alten Unterlagen nicht mehr aufzufinden. Wir sind 1976 von Brotherton House hierher gezogen, weit vor meiner Zeit, und beim Umzug gingen unweigerlich Sachen verloren. Was den Rest angeht, können wir also nur raten.«
Simon Bradley hatte Banks erzählt, Chadwick sei nicht bei guter Gesundheit gewesen, aber Banks war nicht klar geworden, dass es so schlecht um ihn stand. War sein Tod in irgendeiner Weise verdächtig? Zuerst Linda Lofthouse, dann Robin Merchant, dann Stanley Chadwick? Banks konnte sich nicht vorstellen, dass sie etwas miteinander zu tun hatten. Chadwick hatte im Lofthouse-Fall ermittelt, aber mit dem Ertrinken von Merchant war er nicht befasst gewesen. Allerdings hatte er die Mad Hatters in Swainsview Lodge getroffen, und Vic Greaves war Linda Lofthouse' Cousin. Irgendetwas übersah Banks hier. Vielleicht konnte ihm Chadwicks Tochter Yvonne weiterhelfen, falls er sie aufspürte.
Sie gingen Briggate hinunter, die Fußgängerzone. Es waren viele Einkaufsbummler unterwegs, viel junges Volk. Mädchen schoben Kinderwagen, doch die Kerle neben ihnen wirkten
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