Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
weder die Zeit noch das Geld dafür gehabt. Banks hatte ihr seinen Renault angeboten, als er den Porsche bekommen hatte, aber sie hatte abgelehnt. Erstens entsprach der Renault nicht ihrem Geschmack, und zweitens hätte sie sich dumm dabei gefühlt, Banks' ausrangierte Dinge anzunehmen. Sie würde sich bald einen neuen Wagen kaufen, aber bis dahin erfüllte der Astra noch seinen Zweck.
Annie fuhr den Hügel hinauf und an der Jugendherberge vorbei, wo einige Kollegen Befragungen durchführten, dann weiter ins Moor. Sie hielt in einer Parkbucht neben einem Zauntritt. Hier begann ein Wanderweg zu einer alten Bleimine, wusste Annie. Banks hatte sie einmal dorthin geführt, um ihr die Stelle zu zeigen, an der eine Leiche im Luftkanal gefunden worden war. An diesem Morgen war niemand zu sehen. Der Wind tobte und pfiff um das Auto herum, fegte durch das Heidekraut und die trockenen Gräser. Kelly holte eine Packung Embassy Regals aus der Handtasche, aber Annie drückte ihre Hand nach unten und sagte: »Nein. Nicht im Auto. Ich mag den Rauchgeruch nicht, und ich will die Fenster nicht öffnen. Es ist zu kalt.«
Kelly steckte die Zigaretten wieder ein und schmollte ein wenig. »Gestern Abend, als wir im Pub waren, haben Sie ziemlich heftig auf unsere Nachricht reagiert.«
»Es wurde schließlich jemand umgebracht. Für Sie ist das vielleicht normal, aber für uns hier nicht. Es war einfach ein Schock.«
»Es schien ein persönlicher Schock zu sein.«
»Was meinen Sie damit?«
»Muss ich es aussprechen, Kelly?«
»Ich bin nicht blöd.«
»Dann hören Sie auf, mir was vorzumachen. Was hatten Sie für eine Beziehung zu dem Verstorbenen?«
»Ich hatte gar keine Beziehung zu ihm. Er kam in den Pub, das ist alles. Er hatte ein nettes Lächeln, hat mir was ausgegeben. Reicht das nicht?«
»Wofür?«
»Um betroffen zu sein, weil er tot ist.«
»Hören Sie, es tut mir leid, wenn das schwer für Sie ist«, fuhr Annie fort, »aber wir machen das hier nur, weil es uns auch nicht völlig egal ist.«
Kelly warf ihr einen Blick zu. »Sie haben ihn doch nicht gekannt, als er noch lebte. Sie wussten nicht mal, dass es ihn gab.«
Das stimmte. Annies Beruf brachte es mit sich, dass sie meistens die Todesfälle von Fremden untersuchte. Aber von Banks hatte sie gelernt, dass die Toten im Laufe der Ermittlung irgendwann keine Fremden mehr waren. Man lernte sie kennen, wurde gewissermaßen zu ihrer Stimme, weil sie sich selbst nicht mehr äußern konnten. Aber das konnte Annie Kelly nicht erklären.
»Er wohnte seit einer Woche in dem Cottage«, sagte Annie, »und Sie erzählen mir, Sie hätten ihn nur gesehen, wenn er in den Pub kam.«
»Und?«
»Sie wirken auf mich stärker betroffen, als ich erwarten würde, wenn das wirklich alles wäre.«
Kelly verschränkte die Arme. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Annie sah ihr ins Gesicht. »Ich glaube, das wissen Sie ganz genau, Kelly.«
Sie saßen schweigend nebeneinander im geschützten Auto, Kelly schaute unverwandt geradeaus, Annie hatte sich zur Seite gedreht und betrachtete Kelly im Profil. Auf der rechten Wange hatte sie etwas Akne, und an einer Augenbraue war eine kleine weiße Narbe zu sehen. Draußen fegte der Wind durch das Moorgras, und gelegentlich ließen unerwartete Böen und Windstöße den Wagen leicht erzittern. Der Himmel war eine weite blaue Fläche mit kleinen, hohen, schnell dahinziehenden weißen Wolken, die flüchtige Schatten auf das Moor warfen. So mussten drei, vielleicht vier Minuten verstrichen sein - eine unglaublich lange Zeit in solch einer Situation -, bis Kelly zu beben begann. Kurz darauf zitterte sie wie Espenlaub in Annies Armen, und Tränen rollten ihr übers Gesicht. »Sie dürfen meinem Vater nichts sagen«, flehte sie unter Tränen. »Sie dürfen meinem Vater nichts sagen.«
* Dienstag, 9. September 1969
Nach dem Tee am Dienstagabend las Yvonne in ihrem Zimmer Mark Knopflers Kolumne in der Yorkshire Evening Post. Er schrieb über die Musikszene, manchmal auch über Jam-Sessions mit Bands aus der Gegend im Peel oder Guildford, und Yvonne hoffte, er würde vielleicht ein Wort über Brimleigh verlieren, aber diesmal ging es in der Kolumne um eine Reihe künftiger Konzerte im Harrogate Theater The Nicke, The Who, Yes, Fairport Convention. Es hörte sich klasse an. Hoffentlich würden ihre Eltern sie nach Harrogate fahren lassen!
Es klopfte an der
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