Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
Tür. Yvonne schaute auf und erblickte verwundert ihren Vater. Noch mehr wunderte sie sich, dass er scheinbar überhaupt nicht wütend auf sie war. Ihre Mutter musste ein gutes Wort für sie eingelegt haben. Dennoch machte sie sich auf das Schlimmste gefasst: Vorwürfe, Kürzung des Taschengeldes und Einschränkung ihrer Freiheiten. Doch nichts dergleichen kam, stattdessen schlossen sie einen Kompromiss: Yvonne durfte montags ins Grove gehen, wenn sie um elf Uhr wieder zu Hause war und unter keinen Umständen Alkohol trank. An den anderen Abenden der Woche musste sie jedoch zu Hause bleiben und ihre Hausaufgaben erledigen. Freitags und samstags durfte sie ausgehen. Aber nicht die ganze Nacht. Dann wollte ihr Vater wissen, wo sie Sonntag gewesen sei, aber Yvonne sagte nur, sie hätte die ganze Nacht lang mit Freunden Musik gehört und dabei völlig die Zeit vergessen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er ihr nicht glaubte, aber anstatt weiter zu bohren, fragte er: »Hast du Musik von Led Zeppelin?«
»Led Zeppelin? Ja. Wieso?« Die Band hatte bisher nur eine LP veröffentlicht, und Yvonne hatte sie sich mit dem Plattengutschein gekauft, den Tante Moira ihr zum sechzehnten Geburtstag im März geschenkt hatte. Im Melody Maker stand, dass Led Zeppelin im nächsten Monat ein neues Album herausbringen würden, und Robert Plant hatte auch in Brimleigh darüber gesprochen, als die Band Stücke wie »Heartbreaker« gespielt hatte. Yvonne konnte es kaum erwarten. Robert Plant war so unglaublich sexy. »Würdest du sagen, dass sie laut sind?« Yvonne lachte. »Ziemlich laut, ja.«
»Macht es dir was aus, wenn ich mal reinhöre?«
Immer noch verunsichert, sagte Yvonne: »Nein, überhaupt nicht. Bitte.« Sie nahm die LP mit dem großen Zeppelin, der die Spitze des Eiffelturms streifte und in Flammen aufging, aus der Hülle und reichte sie ihrem Vater.
Der Dansette-Plattenspieler, den ihr Vater für fünftausend Embassy-Sammelmarken bekommen hatte, bevor er mit dem Rauchen aufhörte, stand unten im Wohnzimmer. Er war ein ewiger Zankapfel, denn Yvonne behauptete, dass sie die Einzige sei, die Platten kaufe und sich wirklich für Musik interessiere. Ihre Mutter legte nur manchmal Scheiben von Johnny Mathis oder Jim Reeves auf, und ihr Vater besaß einige wenige Big-Band-LPs. Yvonne war der Ansicht, der Plattenspieler sollte in ihrem Zimmer stehen, doch ihr Vater bestand darauf, dass er der ganzen Familie gehöre.
Immerhin hatte er ihr zum Geburtstag extra Lautsprecher geschenkt, mit denen sie einen richtigen Stereoeffekt erzielte, außerdem hatte sie noch ein kleines Transistorradio auf ihrem Nachttisch. Dennoch musste Yvonne immer warten, bis ihre Eltern aus dem Haus waren, um sich ihre Platten vernünftig und in der richtigen Lautstärke anhören zu können.
Sie ging mit ihrem Vater nach unten und schaltete den Plattenspieler ein. Ihr Vater wusste offensichtlich nicht einmal, wie man mit dem Ding umging. Kurz darauf erscholl »Good Times, Bad Times« so laut, dass Janet aus der Küche gestürzt kam, um zu sehen, was los war.
Nachdem Chadwick sich ungefähr die Hälfte des Stückes angehört hatte, drehte er die Lautstärke herunter und fragte: »Sind die alle so?«
»Dir würde es wohl so vorkommen«, sagte Yvonne, »aber jedes Stück ist anders. Warum?«
»Ach, nur so. Ich habe bloß darüber nachgedacht.« Er hielt die Platte an und schaltete das Gerät aus. »Danke. Du kannst sie wiederhaben.«
Immer noch verwundert steckte Yvonne die LP zurück in die Hülle und ging nach oben in ihr Zimmer.
Banks blickte aus dem Fenster seines Büros. Es war Markttag. Die Holzbuden der Händler verteilten sich über den kopfsteingepflasterten Marktplatz. Die Segeltuchabdeckungen flatterten im Wind. Hier wurde alles Mögliche verkauft, von billigen Hemden und Schiebermützen bis zu gebrauchten Büchern und illegal gebrannten CDs und DVDs. Der nur einmal im Monat stattfindende Bauernmarkt erstreckte sich über den Platz hinaus. Dort wurden Gemüse aus der Region, Wensleydale- und Swaledale-Käse sowie biologisches Rinder- und Schweinefleisch angeboten. Banks war der Meinung, dass Rinder und Schweine - von Wein, Obst und Gemüse ganz zu schweigen - immer biologisch seien, aber man hatte ihm erklärt, dass es eigentlich »biologisch erzeugt« bedeutete, also ohne Pestizide oder Chemie. Er fragte sich, warum man es dann nicht auch so nannte.
Auf dem Marktplatz tummelten sich
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