Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
also gar nicht.«
»Was ist mit Ihnen, Kelly?«, fragte Banks.
»Ich habe die ganze Zeit gearbeitet, im Pub«, erwiderte das Mädchen. »Ich bin nicht ein Mal raus. Fragen Sie CC.«
»Aber was hielten Sie von Nick Barber?«
Jetzt bewegten sie sich wirklich auf vermintem Gelände. Kelly wurde noch nervöser, sah Banks nicht in die Augen. Aber sie musste sich keine Sorgen machen. Natürlich wusste sie nicht, wie weit Banks gehen würde, aber er würde ihr Geheimnis nicht preisgeben. Banks wollte ihren Vater auf einen Hinweis belauern, dass er etwas von dem geahnt hatte, was zwischen seiner attraktiven Tochter und Nick Barber vor sich gegangen war.
»Keine Ahnung«, sagte Kelly. »Kam mir ganz nett vor, wie Dad schon sagt. Hat nicht viel geredet.« Sie untersuchte ihre Fingernägel.
»Also wusste keiner von Ihnen, was er hier machte?«
»Urlaub, schätze ich«, sagte Calvin. »Obwohl es mir ein Rätsel ist, was man zu dieser Jahreszeit hier oben will.«
»Würde es Sie überraschen zu hören, dass er Schriftsteller war?«
»Kann nicht behaupten, dass ich drüber nachgedacht hätte«, gab Calvin zurück.
»Ich glaube, dass er in erster Linie einen abgeschiedenen Platz zum Schreiben suchte«, erklärte Banks, »aber es könnte noch einen anderen Grund gegeben haben, sich hier aufzuhalten statt in, sagen wir mal, Cornwall oder Norfolk.« Banks merkte, dass Kelly verkrampfte. »Ich weiß nicht, ob er einen Roman oder etwas Dokumentarisches schrieb, aber es könnte sein, dass er hier recherchiert hat und jemanden treffen wollte, jemanden, den er gesucht hatte, der eine Verbindung zu dieser Gegend und vielleicht zur Vergangenheit hat. Haben Sie eine Vorstellung, wer das sein könnte?«
Calvin schüttelte den Kopf, Kelly tat es ihm nach. Banks beobachtete die beiden. Er glaubte von sich, eine recht ordentliche Menschenkenntnis zu haben. Die Reaktion und die Körpersprache von Calvin Soames ließen darauf schließen, dass der Vater nicht wusste, dass seine Tochter mit Nick Barber geschlafen hatte. Daher hatte er kein Motiv für einen Mord. Jedenfalls kein besseres als jeder andere. Ob Kelly ein Motiv hatte, wusste Banks nicht. Sicher, sie hatte zum Todeszeitpunkt gearbeitet, aber sie hatte zugegeben, Barber am Nachmittag gesehen zu haben. Wenn der Arzt mit dem Todeszeitpunkt danebenlag, mochte Barber schon tot gewesen sein, als Kelly ging. Aber warum? Die beiden hatten sich doch nur wenige Tage gekannt, wie Annie berichtet hatte, sie hatten nur ein bisschen Spaß miteinander gehabt, ohne an die Zukunft zu denken.
Es wäre mal wieder besser, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen, dachte Banks, doch in Gedanken war er bereits in London. Er malte sich aus, was sie in Nicks Wohnung finden würden.
* Montag, 15. September 1969
Als Chadwick am Montagmorgen den Stapel von Fotos vom Brimleigh Festival durchblätterte, war er enttäuscht zu sehen, dass sie alle bei Tageslicht aufgenommen worden waren. Abgesehen davon, waren einige offensichtlich gestellt. Damit hätte er rechnen müssen. Blitzlicht reicht nicht über weite Strecken, und bei nächtlichen Aufnahmen der Zuschauer oder der Bands auf der Bühne hätte es nichts genutzt.
Ein Fotograf jedoch schien hinter die Bühne gelangt zu sein; zumindest waren dort einige seiner Bilder gemacht worden, alles Schnappschüsse. Linda Lofthouse war auf dreien zu sehen; das schwingende weiße Kleid mit der feinen Stickerei war gut zu erkennen. Auf einem Bild stand sie inmitten einer Gruppe langhaariger Personen und plauderte locker mit ihnen, auf einem anderen war sie mit zwei Männern zu sehen, die Chadwick nicht kannte, und auf dem dritten saß sie allein und schaute in die Ferne. Es war eine hervorragende Aufnahme, Kopf und Schultern im Profil, möglicherweise mit einem Teleobjektiv gemacht. Linda wirkte wunderschön und zerbrechlich, und auf ihrer Wange prangte keine Blume.
»Unten ist jemand, der Sie sprechen möchte, Sir«, sagte Karen, die den Kopf zur Tür hereinsteckte.
»Wer?«, fragte Chadwick.
»Ein junges Pärchen. Sie haben gefragt, ob sie mit dem Mann sprechen können, der für den Mord auf dem Konzert in Brimleigh verantwortlich ist.«
»Ach, ja? Dann schicken Sie sie besser schnell hoch.«
Während Chadwick wartete, schaute er aus dem Fenster und trank seinen lauwarmen Kaffee. Er saß weit oben auf der Rückseite des Gebäudes. Der Blick ging über das Werksgelände von
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